Fulda - Weser und Loire

Sonntag, 17. Juli 2011

Autorückholung per Bahn, Bremen - Bad Hersfeld

Abschluss der Wesertour 17. Tag

Skizze: Zeltwiese im Bremer Kanuwanderer e.V.



Früh raus. Regen. Eine gelockerte Abspannung der Zeltplane hatte Wasser eindringen lassen. Es ist über die Bodenplane gelaufen und hat einen dicken Roman und den in Bad Hersfeld geliehenen DKV-Flussführer von 1991 durchtränkt. Ich habe den Flussführer gestern Abend noch extra herausgelegt, damit er nicht vergessen wird und vorsichtshalber den Roman darunter geschoben, damit das geborgte Buch vom Boden her nicht feucht wird. Jetzt ist er trotzdem ein nasser Klotz. Während des Frühstücks föhne ich Seite um Seite, die dünnen Blätter werden durch die heiße Luft wellig und das Gebinde bläht sich zum doppelten Umfang auf. Es ist mir unglaublich peinlich wie das Buch jetzt aussieht. 



Das Waffenverbot kündigt das Aggressionspotenzial in Bahnhofsnähe bereits an.


Es ist ein langer Marsch zum Bahnhof, die Zeit wird knapp. Dazu kommt eine Menge Unsicherheit wegen der laufenden Bahnstreiks. Am Informationsschalter gibt uns ein Angestellter mürrisch und skeptisch Auskunft, er druckt uns immerhin eine angeblich streiksichere Verbindung nach Bad Hersfeld aus. Dann heißt es Anstellen mit Wartenummer beim „Fahrkarten-Service“, wir geraten an eine verbissen dreinblickende Blondine, die wir um eine günstige, aber vor allem streikfreie Verbindung bitten, idealerweise mit Familienermäßigung.
Es sind noch 15 Minuten Zeit bis zur Abfahrt unserers Zuges, aber die Frau arbeitet demonstrativ langsam. Sie holt gemächlich einen Packen Formulare hervor, beginnt alle möglichen persönlichen Daten zu erheben. Wozu das alles? Sie will uns irgendwelche Ausweise andrehen, die wir in einem Jahr vielleicht in Anspruch nehmen könnten! 10 Minuten vor Abfahrt haben wir immer noch keine Karte. Jetzt wird die Dame böse auf uns, weil wir die Bahnbestimmungen für Jugendermäßigungen nicht wissen, ihr angeblich Daten vorenthalten hätten! Dieses "Service" ist der wahre Psychoterror! Sechs Minuten vor Abfahrt rückt sie endlich drei Tickets heraus. Wir wissen noch nicht, wo unser Bahnsteig ist, konnten weder Wasser noch Proviant einkaufen. Ich frage sie schnell, ob sie denn auf diese perfide Art auch streikt, da lächelt sie süffisant, aber es bleibt keine Zeit zum Diskutieren, wir müssen rennen.
Meine Frau hat noch drei Wünsche – Mineralwasser, etwas zu Essen, eine Zeitung. Das alles noch? Wir verpassen noch den Zug! Ich stürme zum nächstbesten Kiosk, reiße hektisch drei kleine Flaschen Mineralwasser aus dem Regal, reiche den Verkäufer einen 20-Euroschein. Was, das soll über 5 Euro kosten?

Wir wurden umgehend ohne Gegenleistung um 20 Euro erleichtert.


Nein, das sind Wucherpreise, der Pfand interessiert uns nicht, das ist uns zu teuer, so lassen wir uns nicht abzocken! Schnell stelle ich die Flaschen in das Regal zurück, aber der Verkäufer, mit der Statur eines Schwergewichtlers und einem braunen Boxergesicht rückt die 20 Euro nicht mehr heraus. Ich fordere scharf die Herausgabe, der Verkäufer ist auf der Stelle beleidigt, wird plötzlich sehr aggressiv und beginnt unter dem Vorwand die Polizei zu rufen, nach irgendwelchen Gauner-Kumpanen zu pfeifen. Die Situation wirkt bedrohlich. Mit dieser Bahnhofsmafia wollen wir uns nicht anlegen! Das sind die 20 Euro nicht wert! Bevor uns diese feine Gesellschaft vermutlich noch gänzlich ausraubt, flüchten wir aus dieser dubiosen Ecke, sprinten durch die Menge, finden zum Glück sofort unseren Bahnsteig und springen in letzter Sekunde in den wartenden Zug, die Türen fallen zu, wir atmen auf, hier sind wir sicher und den Zug haben wir auch nicht verpasst. 

Um 20 Euro erleichtert lassen wir uns in ein paar freie Sitze fallen, zunehmend entspannt schauen wir aus dem Fenster. Wir fahren eher selten mit der Bahn und versuchen es nun zu genießen. Die Ruhe währt nicht lange. In Göttingen werden wir von einem arroganten Ehepaar harsch von den Plätzen verjagt, wir haben die winzigen Lämpchen übersehen, die anzeigen, dass dieses Sitze bereits reserviert sind. Meine Entschuldigung straft die Dame mit einem besonders verächtlichen Blick. Diese Leute wiederum behandeln uns von oben herab wie Landstreicher. Schnell stehen wir auf und setzten uns zwei Reihen weiter, wo keine Reservierungs-Lämpchen brennen. Ich sehe nun die Frau von schräg gegenüber mit wichtiger Miene auf den Mann einreden. Soll ich mich über diese arrogante Art jetzt stundenlang ärgern? Nein, das wäre schade um die Zeit. 

Skizze einer harschen DB-Fahrgastin deren reservierten Sitzplatz wir irrtümlich belegten.


Ich hole das Skizzenbuch heraus und beginne ihre Physiognomie zu zeichnen.
Der schwarze Zopf, die Haare wären sogar schön zu nennen. Aus dem veränderten Blickwinkel des Zeichnens, baue ich die Situation neu auf – es entsteht ein menschliches Gegenüber, wie wir alle in unserem kleinen Schicksal verfangen. Verwirrt schaut die Frau zu mir herüber, fragende Neugier glättet ihre Züge, dann lehnt sie sich weg, aber eine winzige Skizze hat sie schon eingefangen.

In Hannover müssen wir umsteigen. Im Zug hatte ich den Schaffner nochmals gefragt, o die sogenannte CAN-Verbindung nach Hersfeld ebenfalls vom Streik betroffen ist. Der Schaffner hat uns versichert, dass dies absolut nicht der Fall ist. Am Bahnsteig in Hannover werden wir eines Besseren belehrt. Der Anschlusszug kommt nicht, die Anzeige verschwindet in aller Stille. Entsetzt und ratlos schauen sich die wartenden Zugkunden um und bald gibt es keinen Zweifel mehr, der Zug nach Hersfeld ist ebenfalls wegen Streik ausgefallen. Es tauchen Bahnbedienstete verschiedener Firmen auf, die Auskünfte erteilen. Wir kämpfen uns durch das Chaos zu einer Bediensteten der Deutschen Bahn. Zuerst erkläre ich unsere Route und die wiederholten Zusicherungen, dass wir für eine streiksichere Verbindung bezahlt haben, dafür auch Umwege und Mehrkosten in Kauf genommen hätten. Die Frau am Schalter hat uns jedoch absichtlich eine falsche Karte ausgestellt! Ich zeige ihr die Karte und den Ausdruck der Information zum Beleg. Streik mag o.k. sein, aber die wissentliche Täuschung und Irreführung eines zahlenden Kunden ist schon eine andere Sache. Um uns bildet sich ein kleiner Kreis von erbosten Bahnreisenden, die heftig nickend unsere Konversation mitverfolgen und die Bahnbedienstete entschließt sich uns zu helfen. Sie telefoniert energisch herum, aber – nichts, leider haben wir den möglichen Anschluss verpasst, es gibt heute keinen Zug mehr nach Hersfeld.
Doch dann überfliegt sie noch einmal den Zettel mit den Bahnverbindungen - da! „Hier haben Sie ja einen Zug über Fulda stehen! Der muss doch … der steht da drüben auf Gleis 2! Sie müssen schnell dort rüber! Aber ich muss Ihnen noch die Karte umschreiben!“ Frau und Junior laufen schon, sie sollen den Fuß in die Tür stellen! Schnell kritzelt die Bedienstete etwas auf das Ticket und ich sprinte die Stufen hinauf, Stufen hinab, der Zug steht noch! Zielsprint, Sprung, es zischt und die Türen fallen zu. Ein Intercity nach München, Fernreisemief in der trägen Raumluft, reserviert bis auf die letzten Quadratmillimeter, die Leute stehen in den Gängen, verwirrt glotzen wir in die verzerrte Landschaft als wir mit über 200 kmh dahin flitzen. Leicht verwirrt versucht auch die Schaffnerin das Gekritzel auf unserer Fahrkarte zu entziffern, meine Erklärung dazu hält sie immerhin für glaubhaft. Endlich Fulda. Wir sind ein großes Stück über unser Ziel hinausgeschossen und müssen nun mit einem weiteren Zug die Regionalstrecke wieder zurück. Ein IC nach Hersfeld fährt ein und wir werden von einem sehr freundlichen Schaffner beim Einstieg empfangen. Der Zug ist ebenfalls knallvoll, aber er sperrt extra für uns „Bahnstreikopfer“ ein Dienstabteil auf, in den Gepäcksnetzen sind Mineralwasser-Kartons gelagert. Generös deutet er mit seiner Rechten hinauf und sagt: „Ist jetzt kostenlos, nehmen Sie soviel sie wollen!“
Klaus-Peter Sauerwein erwartet uns am Bahnhof Hersfeld, wir haben uns mehrmals telefonisch abgesprochen, dabei machte er den Vorschlag, uns abzuholen. Der Empfang ist sehr herzlich. Kurz schildern wir einige Eindrücke von der Reise, sein freundlicher Kommentar: „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es zurück.“
Ein weiser Wink zu Selbstkritik. Nach den Erlebnissen, der letzten Tage wirkt Sauerwein wie die Sonne nach einem Unwetter. „Habt ihr den Flussführer auch nicht vergessen?“ Er ist sehr erleichtert, dass wir das Buch zurückbringen, denn es ist im Klub nicht von allen gut geheißen worden, dass er Klubeigentum an Unbekannte verborgt hat. Doch in diesem Fall machte er einfach mal eine Ausnahme und er freut sich, dass er sich auf uns verlassen konnte. Während Sauerwein seinen Golf durch das ruhige und mondäne Hersfeld lenkt, wird mir erst bewusst, was er für ein markanter Anfangs- und Endpunkt unserer Wesertour ist, eine Art Schlüsselfigur dieses kleinen Abenteuers.
Vor dem Schranken des Hersfelder Kanuwanderer e.V. haben Vandalen die bereitgestellten Säcke mit Müll beschädigt und den Unrat über den Asphalt verstreut.  Am Klubgelände ist Gott sei Dank alles in Ordnung, unser Auto steht unversehrt da, es startet auf Anhieb. Ein wenig verlegen gebe ich Sauerwein den notdürftig getrockneten, aufgequollenen DKV-Flussführer zurück, bei meiner Entschuldigung winkt er schnell ab und meint „Aber das macht doch nichts, ist ja ein Flussführer, der ist nun mal am Wasser und muss ab und zu nass werden können!“
Er bietet sich noch an, uns den Weg zur nächsten Autobahnauffahrt zu weisen, die am anderen Ende von Hersfeld ist. Er fährt uns durch die Stadt vor, bis wir den Weg von alleine finden und dann brausen wir die Autobahn nach Norden. Einen schöneren, herzlicheren Abschluss hätte diese Tour nicht finden können.


Klaus Peter Sauerwein vom Kanuwander e.V. Hersfeld

 

Samstag, 16. Juli 2011

Von Verden bis Bremen


Aller und Weser 16. Tag

Vor der Abfahrt in Verden an der Aller
Wir freuen uns über den sonnigen Morgen in Verden, und auf die letzten 40 km bis Bremen, das Finale unserer Tour. Die Kraft ist an diesem Tag wie in jugendlichen Jahren spürbar. Trotz der vergangenen widrigen Tage und den eher pessimistischen Wettervorhersagen könnte ich noch mindestens 2 Wochen so weiter paddeln. Es reizt auch der Gedanke mit der fallenden Tide bis in die Nordsee zu fahren, aber mit dem offenen Familienkanadier wären wir unter schwierigen Bedingungen nicht ausreichend seetüchtig.
Die Aller zeigt sich sehr schön an diesem Vormittag und die Strömung macht den angenehmen Start perfekt. Doch leider währen diese paradiesischen Paddlerbedingungen nur 5 Kilometer,


Bootsschleppe mit schwerem Gleiswagen in Langwedel

 
denn bald sind wir wieder in der gestauten Weser bei km 326,4, wir weichen einem Schiff aus und sehen vor uns schon die Wehranlage Langwedel km 327,7. Vorgewarnt durch einen Eintrag im DKV- Flussführer inspizieren wir die Umsetzungsanlage aus dem Jahr 1957, die mit dem urtümlichen Bootswagen und einem Betontunnel durch die Staumauer an ein Bergwerk erinnert

Der Gleiswagen allein hat das mehrfache Gewicht unseres voll beladenen Kanadiers. Das Boot ist nur zu zweit aus dem Wasser zu bringen.
Ein offensichtlich mehrere Hundert Kilo schweres Stahlungetüm von Boots-Gleiswagen muss mit Eisenketten 300 Meter weit gezogen werden, was erst ab zwei verfügbaren Personen ratsam ist. Die hohen Gleisschwellen und der die Rampe versperrende Gleiswagen verhindern eine rasche Verwendung des eigenen Bootswagens.

In einer aktiv gelebten Mischung von Bergabau und Wassersport erreichen wir den stollenartigen Durchlass an der Kraftwerksmauer.

Das Ungetüm ist wahrscheinlich für schwere Ruder- oder Segelboote bzw. motorisierte  Sportboote ausgelegt worden. Das Gewicht fungiert sicher auch als Diebstahlschutz. Zusätzlich wirken etliche meterlange Eisenketten bremsend, die ohne ziehendes Personal hinter dem Wagen nutzlos über den Beton rasseln.

Wir nehmen das Kettengerassel 300 Meter lang mit Humor und lassen uns vom Junior im Tunnel fotografieren.

Nach dem Kraftwerk tauchen vereinzelt Motorboote auf. Über der fernen Nordsee scheinen immer mehr dunkle Wolken zu hängen, welche bei kräftigem Wind das labile Hoch über uns verdrängen. Eine graue Wand hängt im Nordwesten wie eine permanente Unwetterwarnung vor unserer Nase, die noch vorhandene Sonne sticht wie vor einem Gewitter. 
Bei solchen meteorologischen Vorzeichen wollen wir besser schnell ans Ziel kommen, daher lassen wir schweren Herzens viele einladende Strände aus, passieren ruhige Campingplätze mit ihren Caravans und Motorjachten und achten penibel darauf, den Schiffen und Motorbooten rechtzeitig auszuweichen. Bevor der nächste Staubereich und damit die kontinuierliche Paddelarbeit beginnt, machen wir noch eine kurze Rast am Ufer einer Viehweide und packen unseren Proviant aus. 

Schöne Reitpferde führen hier ein relativ freies Leben.

Wir sind gerade rechtzeitig aus dem Wasser gekommen, denn vor uns beginnt sich das Drama einer Flussraumvergewaltigung abzuspielen. In einer heulenden Lärmkulisse brausen hagestolze Motorjachtbesitzer heran, die das Flussbett für ihre Wettrennen missbrauchen, riskante Schleifen fahren, sich aggressiv abdrängen, Kollisionen herausfordern, als wollten sie sich gegenseitig versenken. Diese "Wassersportler" platzen beinahe vor Imponiergehabe und aggressiven Emotionen. Wir bekommen es mit der Angst zu tun. Der Fluss wird durch diese Rowdys zum gesetzlosen Raum degradiert! Ich muss meine Familie ernsthaft beruhigen, obwohl auch mir dämmert, dass an eine unbeschwerte Weiterfahrt kaum mehr zu denken ist. Es handelt sich um kopflose Raser,  ausgesprochen aggressiv und unberechenbar. 
Wir wollen jedoch weiter und halten uns so knapp es sinnvoll scheint am Ufer und werfen jedesmal erleichtert einen Dankesgruß zu, wenn ab und zu ein korrekter Freizeitkapitän auf unserer Höhe seine Geschwindigkeit drosselt. Mit einem voll beladenen offenen Boot machen Wasserschwälle nicht so viel Spaß, aber die kurzen unangenehmen Wellen wären nicht das größte Problem. Es dürften nicht wenige Motorbootfahrer eine Befriedigung darin finden, so dicht wie möglich an Paddlern vorbei zu rasen, um dann zurückgaffend sich daran zu ergötzen, wie eine Bootsbesatzung sich fürchtet und hilflos in den Wellen schaukelt. Dabei ist der schrecklichste Moment jener, wenn so ein Motorboot in voller Fahrt direkt auf einen zu rast.  Man weiß nicht, ob der Bootslenker gerade nach vorne schaut, ob er vielleicht betrunken oder sonst wie beeinträchtigt ist. Seit Jahrzehnten beobachte ich diesen Tick der Motorbootfahrer, ein kleines Sportboot schon als entferntes Objekt bei voller Fahrt direkt anzupeilen und erst in kurzer Distanz vom Kollisionskurs abzuschwenken. Dieses Verhalten ist unglaublich lästig und nötigend, da oft  keine andere Möglichkeit bleibt, als das Boot dicht am Ufer zu halten, selbst wenn die Fahrtrinne mehrere Hundert Meter breit ist.

Ein "Wasserski-Showdown" voll Waghalsigkeit und Rüpelhaftigkeit auf der Weser

 
Auf dem Weserabschnitt zwischen ~ km 350 bis 360 bekommen wir dann so etwas wie den Terror der Wasseski-Rodeos zu spüren. Für uns als naturverbundene Paddler, welche die Ruhe am Fluss suchen, ist das Geschehen ein Alptraum. Völlig plan- und rücksichtslos kurven bei km 359 vor dem Motorjachtklub "Marina Oberweser" etliche Motorjachten mit Wasserskifahrer mit Höchstgeschwindigkeit auf engem Raum herum und bereits von Weitem beobachten wir, wie unbeteiligte Wasserfahrzeuge, darunter ein hilflos schwankendes Segelboot, angesteuert und geschnitten werden. Es wäre lebensgefährlich, jetzt in die Strommitte hinaus zu paddeln. Wir versuche, dicht am rechten Ufer an den Rowdys vorbei zu kommen. Trotzdem werden wir zum Spielzeug einer gemeingefährlichen Wasserski-Clique. Ein Motorboot rast im spitzen Winkel zum Ufer hinter uns heran und schwenkt so spät ab, dass meine Frau vor Angst aufschreit. Man hat offensichtlich vor, uns einen Schrecken einzujagen. Ich beschließe, den nächsten Wasserski-Terroristen zu fotografieren, das kann doch nicht rechtens sein! Meine Frau schreit wieder, als von hinten ein Wasserskifahrer demonstrativ mit einer Hand am Bügel direkt auf uns zukommend über die Wellen springt und  ca. 10 Meter hinter uns scharf abschwingt.  Mein Sohn hat am Ufer beigedreht und schreit in den Lärm, ob ich verrückt sei, weil ich jetzt ans Fotografieren denke. Frau und Kind flehen mich an, ich soll doch etwas tun und nicht fotografieren. Das Foto ist zudem nichts geworden, da ich nebenbei das Kanu auf Kurs halten und trocken durch die Wellen bringen muss. Jedoch - ausweichen kann man in dieser Situation sowieso nicht mehr, ein Foto wäre wenigstens ein Beweis für die Strompolizei! Und schon kommt der nächste – von vorne. Um meine Frau nicht zusätzlich zu verängstigen, unterlasse ich das Fotografieren. Diese netten Wasserskileute steuern uns jetzt scheinbar alle direkt an, ich lehne mich aus dem Kanu und halte das Paddel gut sichtbar im rechten Winkel vom Kanu weg weg, um mehr Distanz zu erzwingen. Die Typen bleiben ungeachtet unserer verzweifelten Gesten auf Kollisionskurs. Wir befinden uns auf Höhe des Motorjachtklubs "Marina Oberweser", wo das Spektakel am Fluss von einem kleinen Publikum am Ufer begafft wird. Unser Gestikulieren und Schreien fruchtet nichts, in nur mehr 5 Meter Distanz rast der nächste Wasserskifahrer mit voller Geschwindigkeit grinsend vorbei. Wow, was für eine Mutprobe, Paddler erschrecken.

Eines der Motorboote in Folge, welches in voller Fahrt direkt auf uns zusteuerte. Erst demonstratives "Fotografieren" hält die Rowdys auf Distanz.

Ich bringe den Kanadier durch die spitzen Wellen, da kommt schon der nächste auf uns zu. Es ist der reinste Terror! Ich überhöre die angstvollen Proteste meiner Familie, lege das Paddel weg, richte mich hoch auf und halte die Kamera weit über den Kopf und siehe da, es wirkt – die Typen drehen sofort ab!
Der eine oder andere scheint es noch auf uns abgesehen zu haben, aber jedesmal halte ich die Kamera deutlich über den Kopf und schon dreht das Motorboot in einiger Entfernung ab. Ein "Foto" dürfte also abschreckende Wirkung haben! Die Kamera griffbereit auf den Knien paddle ich weiter, vor der Belästigung fühlen wir uns jedoch erst sicher, nachdem wir am Ende der Wasserskistrecke in den Hafenbereich von Bremen einfahren.
So eine aggressive Bedrängung durch Motorboote und Wasserskifahrer habe ich in all den Jahren am Wasser noch nie erlebt!  Es steht die Frage im Raum, ob hier solche Missstände einfach toleriert werden, oder ob dafür jemand zur Verantwortung gezogen werden sollte.   


Die Gefahr, welche von Motorbootrasern im Wesergebiet vor Bremen ausgeht, empfinden wir aus Sicht der Wanderbootfahrer als ein Unfähigkeitszeugnis der Strompolizei.

Wir verdauen unseren Schock vor der Schleuse der Weserwehr Bremen-Hemelingen km 362,2. Wie zum Hohn lässt sich  gerade jetzt ein biederes Motorboot der Strompolizei in aller Ruhe nach oben schleusen. Zwei Beamte scherzen gemütlich mit dem Schleusenwärter und verwenden das Übermaß an Zeit, in der Idylle der Schleusenkammer immer wieder am Einsatzfahrzeug herum zu wischen. Meine Frau klagt, warum ich die Sache nicht bei denen anzeige, aber erstens haben wir nun kein Beweisfoto, zweitens brauche ich im Urlaub nicht unbedingt polizeiliche Formalitäten. Außerdem - diese Beamten wirken derartig träge und tollpatschig, ich kann mir nicht vorstellen, das die einen von den akrobatischen Motorbootterroristen erwischen. Es sieht dort eher nach Wischen statt Erwischen aus.
Das Schleusentor steht offen, noch liegt das Polizeiboot fest vertäut in der Kammer. Stoisch warten die Polizisten und gezwungenermaßen auch wir, bis die Ampel ganz Grün ist, ein paar mal Wischen geht sich noch aus. Die strenge Amtsmine ist schließlich der Indikator, dass etwas geschieht, der Motor beginnt zu gurgelen und die Streife tuckert gemächlich Richtung Kriegsgebiet stromauf. Kein Zweifel, bei solch lethargischer Vorgangsweise bleibt die informelle Flusshoheit im Besitz der Rowdies. Aber das ist jetzt ihr Problem. 
 
Wir sind durch, dieses Kapital ist abgehakt und wir schleusen uns auf Meeresniveau. Ab jetzt bestimmen die Tiden Wasserstand und Strömung. Im Moment ist Ebbe und wir sehen am Ufer, dass bei Flut das Wasser gut 3 Meter höher steht. Wir haben unser Ziel erreicht! Entspannt nähern wir uns der Anlegestelle des Bremer Kanu-Wanderer e.V. km 363,7 wo das letzte Anlegemanöver dieser Tour gemacht wird. 40 Kilometer sind nicht die Welt, aber für diesen Tag haben wir genug.

Zusammen mit einer wilden Flussratte und einem Kaninchen sitzen wir auf dem Klubgelände in der Falle.
Warum sind wir gerade hier angelandet? Die Kanustation Bremer Kanu-Wanderer e.V. hat eine einladende Webseite, die uns bewogen hat, den Klub als Endpunkt und zur Autorückholung zu wählen.
"...Paddler sind uns jederzeit willkommen, ob DKV Mitglied oder nicht.
... Für Besucher, die mit der Strömung kommen: Etwa einen Kilometer nach der Hemelinger Schleuse/Weserwehr befindet sich am rechten Weserufer unser Kanuverein, deutlich sichtbar durch das große weiße BKW-Schild am Ufer, ... Oben angekommen, nimmt Sie der hoffentlich anwesende Bootshausdienst in Empfang. Für Besucher, die die Flut angespült hat, gilt alles genauso, nur andersrum...

Es mag ja alles recht nett sein, aber wir laufen schon eine halbe Stunde auf dem Klubgelände hin und her, kein Bootshausdienst weit und breit, unter der von der Homepage verfügbaren Telefonnummer ist niemand erreichbar. Das Klubhaus ist natürlich versperrt, die Fenster mit Gitterstäben wirken wie länger verschlossen. Ein am Gelände befindliches Sanitärhaus* im Zustand der Renovierung ist unbenutzbar. Aus einem Wasserhahn kommt rötlich-braunes Wasser, ein Schild „Kein Trinkwasser“ warnt vor der Verwendung. Dazu kommt ein hoher Metallzaun zur Straße, wodurch wir das Gelände landseitig nicht verlassen können. So trist haben wir uns den Abschluss nicht vorgestellt. Wenn tatsächlich niemand kommt, müssten wir wieder hochschleusen und zu einem Wassersportverein stromauf zurück paddeln.
Vielleicht wieder an den Motorbooten vorbei? Kommt nicht in Frage.
Durch die Stäbe des Metallzauns sehe ich einen Kasten. Vielleicht sind da mehr Infos drauf, weitere Telefonnummern? Ich warte einige Zeit, dass jemand vorbeikommt, damit man fragen kann, ob da etwas steht. Stumpf stehe ich da, natürlich kommt gerade jetzt niemand des Weges.


Es rettet uns ein Folder mit Kontaktdaten, den wir von innen aus dem Kästchen fischen.


Dann schalte ich wieder mein Gehirn ein, nehme das Handy, stecke die Hand durch die Metallstäbe und mache auf gut Glück Fotos von der Vorderseite. Ah, da stecken Folder drin! Schon habe ich einen heraus gefischt und da sind noch weitere Telefonnummern und Kontaktadressen!
Beim vierten, fünften Anruf erreichen wir schließlich jemanden. Es meldet sich eine sehr lethargische Persönlichkeit. "Bootshauswart nein, ... alle..sind..weg ... nein ... niemand..kommt ... vielleicht - das ist nicht sicher ..-.. kommt morgen jemand. Das Toilettenhaus...ist doch offen..nicht wahr?"
Ja es ist offen, denn es hat keine Tür, keine Fliesen, keine Armaturen, kein Wasser, eine Baustelle. Was soll man da machen - ja er versucht noch jemanden zu erreichen …
Wir warten und probieren währenddessen weitere Nummern. Ich spreche auf Mailboxen.
Gut, stellen wir einmal das Zelt auf, wir haben einfach keine Lust mehr etwas anderes zu suchen, wir bleiben einfach da. Ich inspiziere die Baustelle, suche und finde eine Leiter. Wir arbeiten einen Notfallplan aus, wie wir aus dem Gelände klettern könnten, um das Auto zu holen. Unsere Sachen, das Boot bekommen wir schon irgendwie über den Zaun.
Endlich, es kommt jemand! Eine freundliche Frau öffnet uns das Klubheim. Wir haben Glück sagt sie, sie hat zufällig frei. Nun zeigt sie uns die weitläufigen Räume, die Küche, die neuen sanitären Anlagen im Klubhaus. Erklärt uns den Weg zum Bahnhof, zum Supermarkt, leiht uns einen Stadtplan. Jetzt sieht die Lage bereits viel besser aus!


*Stand Juli 2011. Die Renovierung dürfte mittlerweile abgeschlossen sein. Für Gäste stehen lt. Webseite in einem neuen Anbau Toilettenanlagen und eine Gästeküche zur Verfügung.

Freitag, 15. Juli 2011

Von Hoya bis Verden


Weser und Aller 15. Tag

Morgenstimmung in Hoya

In der Früh hat der Sturm an Stärke verloren, der raue Wind geht in feinen kalten Nieselregen über. Grauer Himmel, der sich von einem Horizont zum anderen spannt, lässt die Hoffnung auf warme Sommersonne verschwinden.

Wir haben eine Etappe von ca. 33 km bis Verden an der Aller vor uns.

Vor allem in der ersten Tageshälfte setzt uns das ungute Wetter zu, mit dem Feuchtigkeitsgehalt in der Atmosphäre geht die Stimmung meiner Paddelpartner den Bach hinunter. Besonders die Motivation von unserem Junior tendiert unrettbar gegen den Nullpunkt. Dabei macht mir persönlich das Wetter wenig aus, der Körper hat sich längst an die Anstrengungen gewöhnt und es treibt mich die keimende Gewissheit an, es trotz unserem knapp bemessenen Zeitrahmen bis Bremen schaffen zu können. Doch langsam gehen mir die Mittel, Geschichten und Methoden aus, meinen Optimismus auf die anderen zu übertragen, sie zu motivieren, mit guter Laune Reserven frei zu machen. Nicht dass wir uns zum Paddeln zwingen müssten, aber es ist eine Etappe, die jeden von uns auf seine Art fordert. 

Diesmal folgen wir vor dem nächsten Kraftwerk nicht dem gestauten Weserlauf, sondern biegen in den Schleusenkanal Dörverden km 308,4 ein, wohin wir wegen Renovierungsarbeiten umgeleitet werden. Im Kanal werden wir von einem Transportschiff langsam überholt, in der Hoffnung, mit dem Kahn zusammen geschleust werden, legen wir einen Zahn zu. Dann bleibt uns bei diesem Wetter wenigstens das Umtragen erspart. 
 
An der Schleuse leuchtet tatsächlich eine grüne Ampel, wir halten das Tempo, aber dann stellt sich heraus - unser Schiff muss warten, da ein anderer vor ihm geschleust wird. Das ganze Areal ist eine große Baustelle, die Bootschleppe welche im DKV-Flussführer beschrieben ist, existiert nicht mehr. Stattdessen gibt es zwei Motorbootstege mit Gegensprechanlage. Dort frage ich freundlich nach, ob wir mit dem Schiff in der offenen Schleuse mitgeschleust werden können. Die Ampel steht noch auf Grün.  "Nein" - "zu gefährlich". 

Beim Anblick der "Umsetzungsanlage" kommt das Gegenteil von Freude auf.  Nicht nur, dass die Pontonkante so hoch ist, dass wir die Boote komplett ausladen müssen,  führt zum Ufer ein schmaler Steg mit hinderlichem Geländer, wo sich der Weg in steilen Betonstufen zur Dammkrone fortsetzt. Von dort sind es ca. 800 Meter über das Kraftwerk bis zum ebenso beschwerlichen Einstieg unterhalb des Werks. 

Also wandere ich erst einmal zur Schleusenanlage, um einen Umsetzwagen zu suchen und erwische tatsächlich den Wärter, wie er gerade an einem Bauzaun herum zerrt. Trotz der Abfuhr von vorhin bin ich betont freundlich, doch es nützt nichts, der Mann bleibt stur. Wir dürfen die Schleuse nicht benutzen, weil die Kähne angeblich zu lang sind, zu „unserer Sicherheit“ sollen wir umtragen. Auch mit dem nächsten Schiff das bereits wartet, werden wir nicht hinein kommen. „Manche Sportboote warten bis zu 4 Stunden oder länger, ich kann es nicht sagen ob etwas kleineres kommt, damit Sie in der Schleuse dazu passen.“
Hinter dem Bauzaun, der gerade verschlossen werden soll, steht ein Umsetzwagen.  „Ja, den dürfen Sie nehmen, aber stellen Sie ihn zurück.“ Dann lässt er uns im Regen stehen. 
Zurück bei den Booten sehe ich, dass vor der Schleuse ein Motorboot ebenfalls wartet. Doch es scheint unter diesen Umständen keinen Sinn zu haben, hier stundenlang im Regen auszuharren. Besser wir schleppen, es sind noch viele Kilometer vor uns.
Bei Wind und Regen zerren wir gemeinsam auf der Dammkrone den schwergängigen Umsetzwagen über den holprigen Grasweg. Dann geht es wieder steile Betonstiegen hinunter, enges Geländer, hoher Steg. Gehorsam stelle ich den Wagen wieder vor den Bauzaun. Wir beladen das Boot, zumindest der Regen lässt nach. Endlich am Wasser traue ich meinen Augen nicht!

Während wir in Dörverden nach Rücksprache mit dem Schleusenwärter übertragen müssen, wird parallel dazu ein einzelnes Motorboot geschleust.

Einen halben Kilometer entfernt, geht langsam das untere Schleusentor auf und das Motorboot, welches vorhin mit uns gewartet hatte, fährt ganz alleine langsam heraus. Dieser gemeine Schleusenwärter hat uns Umtragen lassen und daraufhin das Motorboot ohne uns geschleust! Ich bin nahe daran, meinen Unmut an der Sprechanlage auszulassen, aber rechtzeitig siegen Vernunft und Selbstbeherrschung. Die Betreiber und Betreuer dieser Anlage haben offensichtlich keine Vorstellung vom Wassersport, sonst hätte dieser Wärter nicht so stupide gehandelt, bzw. gäbe es eine zumutbare Umsetzanlage für Bootswanderer.

Der Reiz der rauen Brise

Noch einige Kilometer danach kreisen meine Gedanken auf der bleigrauen Weser um die herzlichen und unherzlichen Menschen, die wir in diesen Tagen erleben durften. Gibt es ein Nord-Süd-Gefälle in der Auffassung von menschlichem Entgegenkommen, oder handelt es sich um nonverbale Missverständnisse?
Da richtet sich meine Aufmerksamkeit wieder auf ein äußerliches Phänomen. Nicht nur dass nach dem Kanal auf der Weser sofort wieder der neue Stau spürbar wird, nun strömt uns das Wasser streckenweise sogar leicht entgegen! Wir sind viel zu weit weg vom Tidenhub, also muss das andere Gründe haben. Es dürfte an den gegenwärtigen Baumaßnahmen an den Innenbiegungen liegen, Verbreiterungen und Begradigungen sollen offensichtlich noch mehr Platz für die Schifffahrt zum Ausweichen und Manövrieren schaffen. Die Eingriffe in den Flusslauf widersprechen jedoch der natürlichen Mäandrierung des Stromes, anstatt frei ab zu fließen bilden sich jetzt in Ufernähe Bereiche mit träge fließendem Kehrwasser. Die Geschwindigkeit dieser Strömungen ist für Paddler zwar nicht relevant, für die Schifffahrt schon gar nicht, aber es zeugt von einseitiger, stumpfer Ingenieursleistung, die im Getriebe von Wirtschaft und Profit der gesunden Seele einer Region den letzten Rest gibt.

Die Schlepperei, Kälte und Frustration in Dörverden haben uns Kraft gekostet, die wir die letzten 5 Kilometer stromauf zum Kanuklub in Verden an der Aller so gut gebraucht hätten, um den sonnigen Abend und das klare Wasser zu genießen, das uns wie aus einer besseren Welt entgegen strömt. Es fehlt uns jetzt die Energie welche uns das Mittelweser-Flussraum-Vergewaltigungsdrama entzogen hatte.
In Verden, einen Kilometer vor dem Ziel, streiten wir uns auch noch. Es ist als kommt der graue Frust des Tages aus uns heraus. Ich lasse das Kanu ins Ufer laufen, steige aus. Es reicht. Ich gehe ein paar Schritte und fauche meinen Zorn über die einsamen Wiesen und Felder. Alles scheint zur sinnentleerten Schinderei für meine kleine Familie geworden zu sein, so war das nicht geplant. Das Wetter, die sinnlose Bootsschlepperei, unherzliche Leute. Ich bin strapaziöse Touren von Kind auf gewohnt, aber meine Mitreisenden nicht, sie haben für diese Art von Aktivurlaub kein Verständnis mehr. 




Verden an der Aller

Natürlich hat es keinen Sinn, hier im Grünen aufzuhören. Wir müssen den letzten Kilometer durch Verden zum Kanuklub, dort können wir die Tour abbrechen. Doch bis zur Anlegestelle ist ein guter Teil der Missstimmung verflogen, barfuß im flachen Wasser stehend nehmen wir uns Zeit für ein klärendes Gespräch. Wir hören uns gegenseitig zu, sehen persönliche Fehler ein, lassen die Egos schmelzen. Wir hätten in Hoya einen Ruhetag einlegen können, besseres Wetter abwarten, warum hatten wir das nicht eher besprochen? Die positive Grundstimmung kehrt nach und nach zurück. Wir haben es geschafft. 


Doch leider gibt es keinen erfrischenden Empfang für uns Weserpaddler, von "Trompeten, Konfetti oder Ehrenspalieren" ganz zu schweigen. Biertrinkend und kauend richten die Restaurantgäste ihre gelangweilten Blicke durch uns hindurch. Mein verlegener Gruß wird nicht erwidert.  An der Theke sehe ich, dass die junge Wirtin hochschwanger ist und der Wirt als werdender Papa seine Rolle als Ernährer besonders gewinnorientiert gestaltet. Anmeldeformular, Preisliste, zackzack, eine Nacht macht soundsoviel auf den Cent, Schlüssel dies und das, dort das Klo dahin das Zelt. Unsere aufgewühlten Paddlerseelen nimmt der Wirt nicht zur Kenntnis.
Ach was, zahlen und abnicken, Hauptsache eine Dusche und das Zelt darf weit genug vom Restaurantbetrieb am anderen Ende der noch freien Wiese aufgestellt werden. Der WSU-Verden zeigt sich als End- und Labestation der Allertouristen. Ein Blick zum Parkplatz belegt, dass hier die meisten Boote auf dem Autodach landen und dort für den Rest des Aufenthaltes bleiben.

Zeltwiese beim WSU-Verden mit Blick auf die Aller
 
Kaum steht unsere Tinde klatschen Zeltsäcke dicht daneben auf die Wiese, Planen und Zeltböden werden um uns ausgebreitet, obwohl dahinter ein halber Hektar Wiese frei ist. Wir sind nicht die ersten, die beobachten, dass spezielle Leute den Drang haben, möglichst dicht an anderen zu zelten. 

Altstadt von Verden

Das ist ein guter Moment, um sich in die Stadt zu verziehen. Wieder drücken wir uns am Uferweg durch Gruppen von Jugendlichen, die mehr oder weniger intensiv dem Alkoholgenuss frönen. Nach einem ausgedehnten Rundgang in der Stadt finden wir eine Pizzeria, wo uns die ausgezeichnete Küche und eine nette Bedienung in schönem Ambiente von allen Strapazen entschädigt.
Freundlich oder unfreundlich - hilfsbereit oder rücksichtslos, das sind subjektive Einschätzungen. Im Schlafsack darf ich mich während der Nachtruhe mit einem endlos dahinziehenden Gedankenaustausches zweier Freundinnen beschäftigen, die im Nachbarzelt dicht neben meinem Ohr hemmungslos quatschen. Sie tauschen ganz aufgekratzt sämtliche Herzergüsse aus, während ich ein stilles Kämmerchen für den erholsamen Schlaf in meinem Inneren suche, bis endlich die redseligen Gören aus dem Bewusstsein gedimt werden ...


Kanuklub Verden


Donnerstag, 14. Juli 2011

Von Nienburg bis Hoya

Weser 14. Tag

Ich träume von Eis, Treibeis. Die Landschaft wird durch einen Wintereinbruch mit einer weißen Schneeschicht überdeckt. Dazu kommt ein dramatisches Hochwasser auf der Weser, im Nienburger Hafen steht das Wasser bereits bis zum Weg vor dem Zelt, Eisschollen treiben vorbei, es fällt dichter Schneeregen. Die Hügel rundum sind zu geschneit, dieser Sommer ist eine echte Katastrophe...

Die roten und grünen Holzpantoffel des KC Nienburg werden nach wie vor auf Touren getragen. Zwei ausgediente Exemplare zieren hier den überdachten Holzesstisch.

Immer wieder wache ich auf und höre das Zerren des Windes an den Zeltplanen, das Prasseln des Regens. Doch gegen Morgen Wetterberuhigung! Es hellt auf, da und dort erscheinen sogar blaue Flecken! Wieder bauen wir das Zelt trocken ab und freuen uns, dass wir unsere Fahrt unter annehmbaren Bedingungen fortsetzen können. Wir fühlen uns durch diesen gastfreundlichen Ort gestärkt und optimistisch. Der ehem. 1. Vorsitzende Wolfgang Rieke kommt tatsächlich wie versprochen in der Früh mit dem Fahrrad vorbei und bringt eine Liste mit aktuellen Zugverbindungen nach Bad Hersfeld. Er macht uns nochmals Mut, meinte aber, zur Not gäbe es in Verden einen gut zu erreichenden Bahnhof, falls das Wetter ungünstig wird.

An diesem Tag haben wir eine Etappe von 30 km vor, eine ehrliche Distanz bei sehr geringer Strömung.

Stauanlage Drakenburg km 277,7
Nach ca. 7 Kilometer sehen wir bei Mehlbergen die Abzweigung in einen Schleusenkanal, wir halten uns rechts in die aufgestaute Weser, wo wir nach 2 Kilometer das Kraftwerk Drakenburg erreichen. Die Überwindung der Staustufe über die Bootsgasse macht keine Probleme, wenn meine Frau aussteigt, kann ich mit dem offenen Kanadier mit voller Beladung hinunter rutschen, ohne einen Tropfen Wasser ins Boot zu bekommen. Für unseren Junior mit dem Kajak ist es ebenfalls eine willkommene Abwechslung nach dem langweiligen Staubereich.

Zwei Logger mit Aalhamen, dahinter Drakenburg


Der Wind weht kräftig, aber dafür in den Rücken, was eine willkommene Zusatzleistung der Natur zur schwachen Strömung ist. Vor Hassbergen macht die Weser jedoch einen Bogen nach Süden und die trichterförmig ausgebauten Ufer erzeugen einen regelrechten Düseneffekt. Der Wind wirft schäumende Wellen auf. Es bläst so stark, dass wir die Persenning aufziehen und uns knapp am Ufer vorwärts kämpfen müssen.

Eines der zahlreichen Kieswerke auf der Strecke.

Blick auf Eystrup km 292

Auf dieser Etappe dominieren Wind und Wellen das Geschehen und wie schnell wir voran kommen hängt jett vom Winkel der Biegungen ab. Wir werden von Regenschauern verschont, aber die Sonne lässt sich kaum mehr blicken. Es ist kühl genug, um den Tag in unseren leichten Neoprensachen zu verbringen.

Unser Zelt im Windschatten einer Weidengruppe rechts hinter dem Damm (nicht mehr im Bild)

Gegen 17.00 erreichen wir endlich Hoya, wir legen bei dem kleinen Bootshafen am linken Ufer an, hinter dem Damm ist das Klubgebäude. Der Platzwart vom WSV stellt sich als sehr entgegenkommend heraus, er bietet uns wegen dem starken Wind eine Übernachtungsmöglichkeit im Klubhaus an, was ich in Erwägung ziehe, falls die Situation noch schlimmer wird. Es ist gar nicht so leicht, einen halbwegs sturmsicheren Platz für das Zelt zu finden. Der Damm selbst bietet kaum Schutz. Da sehe ich etwas weiter entfernt auf einer Wiese eine Jolle mit einem schlaffen Achtersegel auf Halbmast auf einem Bootstrailer liegen, einige Personen arbeiten an der Takelage. Wie ist es möglich, dass es das Boot dort nicht vom Trailer weht? Die Antwort ist eine kleine Weidengruppe hinter dem Damm, die einen Windschatten in einem kleinen Bereich der Wiese schafft. Dort hin werden wir unser Zelt stellen! 
Unser Zelt wird durch die Baumgruppe hinter dem Damm ausreichend vor dem Sturm geschützt. Wie sehr es weht, hört man am Rattern die Flaggen und dem monotonen Schlagen die Metalldrähte gegen die Fahnenmasten. Nicht auszudenken, wenn wir weiter drüben stehen würden, wo sich jetzt die Büsche biegen. 


Nixe vom WSV Hoya
Die Waschräume sind per PIN zu öffnen, die sanitären Anlagen entsprechend gepflegt und sauber. An so einem unwirtlichen Tag kommt uns dieser Komfort sehr gelegen. 

Eine Familie verlädt ihre Jolle

Gegen Abend ziehen dunkle Wolken auf, wir machen trotzdem einen Erkundungsgang in den Ort, um den Markt für die morgigen Provianteinkäufe zu finden. Da es wieder zu regnen beginnt, kehren wir bald zum Zelt zurück und sammeln Kraft für den morgigen Tag.





Mittwoch, 13. Juli 2011

Von Stolzenau bis Nienburg


Weser 13. Tag

Foto aus dem Vereinshaus in Stolzenau. Gütertransport auf der Weser damals ...

... und zum Vergleich heute.

Das nächtliche Gewitter hat einen wolkenverhangenen Himmel hinterlassen, aber der morgendliche Regen hat rechtzeitig aufgehört, sodass wir  das Zelt trocken abbauen können.
Vor uns liegen 28 km bei diesigem Wetter mit einer Staustrecke vor dem Kraftwerk Landesbergen km 252

Der "Robert Frank"-Kraftwerkskomplex vor Landesbergen.
Das Wetter scheint den grauen ökonomischen Alltag, in dem der Mittelweser ihr wirtschaftlicher Nutzen abgerungen wird, noch zu unterstreichen. Es erübrigt sich zu sagen, dass wir seit Minden wieder alleine am Fluss sind, zumindest was das Paddeln angeht. Wir bewegen uns als einzige unter Frachtschiffen und Motorjachten mit Muskelkraft. An der Staustufe Landesbergen bringt die Bootsgasse eine willkommene Abwechslung. Aber die Hoffnung, dass es unterhalb zügiger vorangeht, wird bald enttäuscht.  Die in Serie gebauten Staustufen verlangsamen die Strömung mehr und mehr.

Logger mit Aalhamen unterhalb der Stufe Landesbergen
Ohne Zweifel hat die Flusslandschaft auch hier ihren eigenen Reiz, die Natur konnte sich an die Eingriffe des Menschen anpassen, wir bewundern den reich blühenden Uferbewuchs und beobachten zahlreiche Vogelarten, darunter vereinzelte Austernfischer, die von der Nordsee ins Binnenland hereinkommen.

Die Schwanenblume entzückt durch ihre rosa Blütenstände am Ufersaum

Besonders schön blüht über lange Strecken die Schwanenblume Butomus umbellatus, deren Wurzelstöcke essbar sind und deren Stängel früher zum Flechten von Körben verwendet wurden. Nicht zu übersehen sind die zahlreichen Nilgänse, die mit ihrem Nachwuchs fast überall entlang der Weser die Ufer bevölkern. 

Biegung vor Nienburg
Nur das Wetter spielt nicht mehr so richtig mit. Es regnet ab und zu, aber vor allem ist es kalt geworden. Wir sind froh, dass diese Etappe relativ kurz ist, denn der feuchte Tag hat uns nach und nach ausgekühlt, alles ist klamm und nichts wird mehr trocken.

Im Hafen von Nienburg
Außer den Frachtkähnen gibt es kaum Bewegung am Fluss, auch im Hafen von Nienburg liegen die Boote mit verschlossenen Verdecks in einer Art Schlechtwetterstarre. Wir halten zuerst das alleinstehende alte Bootshaus am linken Ufer mit dem großen Schriftzug "KC Nienburg" für das Vereinslokal. Es sieht veraltet und verlassen aus. Die zahlreichen Motorboote welche an den Stegen vertäut liegen, versperren die Sicht auf das Ufer und wir sehen den Ausstieg nicht. Wir legen zwischen den Motorbooten an einem Privatsteg an, um einen Überblick zu bekommen.  Ein Freizeitkapitän schaut griesgrämig aus seiner Kajüte, sagt aber nichts. 
Die Rampe für den Ausstieg befindet sich 50 Meter weiter hinter den Motorbooten, ein steiler und schräger Grasweg,  niemand weit und breit, aber generell wirkt der Ort sicher und friedlich.  Oben gibt es eine gepflegte Wiese mit einem überdachten Tisch.  Einen Aushang mit Telefonnummern kann ich vorerst keinen finden. O.k., stellen wir erst einmal auf, solange es nicht regnet.
Erst nach einer Weile finden wir heraus, dass sich das Klubrestaurant am vorderen Ende des Kais befindet. Die Wirtin ist ratlos, sie weiß nicht wie sie Paddler anmelden soll, da hier vor allem Motorjachten einen Liegeplatz buchen. Sie versucht erfolglos jemand vom KC zu erreichen. Ich warte an der Theke und habe plötzlich eine Idee. „Können wir denn nicht auch einfach einen Liegeplatz für ein Motorboot mieten, wie wären denn da die Formalitäten?“ Die Miene der Wirtin hellt sich auf, sie ist erleichtert. Klar, das geht. Der Preis richtet sich nach der Bootslänge, erklärt sie. Gut, dann zähle ich einfach die Bootslängen des Kanadiers und des Kajaks zusammen und machte daraus eine fiktive Motorjacht. Ja, so kann das sein. Als Heimathafen nehme ich die Kreisstadt unseres Wohnsitzes. Dort gibt es sogar einen Fluss. Ob wir Wasser tanken? Naja, höchstens 2 Liter. „Ach nein, das zählt nicht, die Jachten tanken so um die 100 - 150 Liter. Macht alles zusammen 9 Euro.“ Das finde ich dann recht günstig. 


Detailansicht vom Hafen in Nienburg

 Die heiße Dusche ist eine angenehme Form der Wiederbelebung und wir richten uns auf einen nassen und windigen Abend ein. Mittlerweile wird kalter Regen von Windböen in die Hafenbucht gepeitscht und meine Frau meint, sie kann sich nicht vorstellen die Fahrt bei diesem Wetter morgen fortzusetzen. Wir kommen überein, die Reise abzubrechen falls es so bleibt und morgen den Bahnhof in Nienburg aufzusuchen, um das Auto zu holen. Schade, aber wir haben zumindest einen Notfallplan und genießen unter dem rustikalen Holzdach Dosenfisch mit Brot und Radler im Freien, während ringsum kalte Tropfen den Boden aufweichen. 
Plötzlich stehen einige gut gelaunte Personen vor uns im Regen, die sich als Mitglieder des hiesigen Klubs vorstellen. Sie fragen woher wir kommen, wohin wir wollen und laden uns dann fröhlich zum Klubabend im Restaurant ein. Der ehemalige 1. Vorsitzende Wolfgang Rieke sieht unsere nassen Sachen im kalten Wind und stellt uns eine Trockenleine in einem Vereinsschuppen für unsere feuchten Sachen zur Verfügung. Er überlässt uns den privaten Schlüssel zum Gebäude und gibt uns eine Menge Hinweise für die Etappen nach Bremen. Bei einem guten Bier in einer rustikalen Sitznische und im Gespräch mit den sympathischen Leuten kommen wir über das Sauwetter schließlich hinweg.  Die Stimmung ist fantastisch, Paddlerplausch, Lebensgeschichten, nach dem Motto "wir Paddler helfen uns gern gegenseitig, wir sind wie eine Familie". Das gemeinsame Symbol der Nienburger Paddlergemeinschaft sind jeweils ein roter und ein grüner Holzschuh. Diese klobigen Pantoffel werden bei Ausfahrten getragen und sollen gar nicht so unpraktisch sein.  Wir kommen auch auf die Nilenten zu sprechen, welche hier gar nicht gerne gesehen werden, da es sich um Neozoen handelt, welche angeblich die heimischen Schwäne oder Graugänse verdrängen. Wir lassen uns von der geselligen Runde neuen Sportsgeist einimpfen und langsam haben wir das Gefühl, die letzte Etappe doch noch zu schaffen. Sie geben uns Mut, denn laut Wetterbericht soll es eine leichte Besserung geben. Viel Wind im Rücken und kaum Regen. Das schaffen wir!
Alle wandern plaudernd aus dem Restaurant und gedankenverloren gehe ich alleine zum Zelt, da kommt meine Frau nachgelaufen - „Du hast unsere Getränke noch nicht bezahlt, die Wirtin meint schon du bist ein Zechpreller.“ Herrgott ist das peinlich, wie konnte ich das nur vergessen! Bei meiner „Motorboot-Platzmiete“ hatte ich gefühlsmäßig etwas wenig bezahlt und jetzt noch das! Die Leute werden mich für einen kleinen Schwindler halten. Sofort mache ich kehrt, die Wirtin und der erste Vorsitzende warteten noch an der Theke - „Da ist er ja, nun kommt alles wieder in Ordnung“ beruhigt er die Frau.
Ich hoffe, dass durch ein reichliches Trinkgeld die Wirtin besänftigt und eventuelle Zweifel an meiner Redlichkeit neutralisiert werden. 
In der Nacht prasselt der Regen auf die Planen und ein kräftiger Sturm schüttelt das Zelt, schlechte Aussichten für die Weiterfahrt. Schade, das war's wohl, wenn es nicht besser wird geht’s morgen zum Bahnhof.