Fulda - Weser und Loire

Samstag, 20. Juli 2013

Auf Wiedersehen in Nantes


Fasziniert beobachten wir den großen Unterschied von mehreren Metern, ich schätze auf ca. vier, zwischen Ebbe und Flut im Binnenland. Das Wasser läuft ab, der große "See" von gestern schickt sich an, fast gänzlich trocken zu fallen. Ein ständiges Hin und Her und das Tag für Tag, solange Erde, Sonne, Mond und das Meer existieren. 

Wir wandern zur Verbindungsstraße nach Thoreau, an der Kreuzung finden wir die Bushaltestelle, welche uns die freundliche Dame an der Accueil beschrieben hat. Wir werden auch gleich von einem lebenslustigen Algerier angesprochen, der dort plaudernd neben einem Asiaten sitzt und sich spontan als Fremdenführer anbietet und uns auf dem Weg ins Zentrum begleitet, alles erklärt und von wegen Sprachbarriere seine Lebensgeschichte und persönlichen Interessen mit Händen und Füßen erzählt. Einerseits freuen wir uns über die hilfreichen Tipps eines Ortskundigen, andererseits kommt manchmal die warnende Stimme des Misstrauens hoch, ob man da als naiver Tourist in eine Falle gelockt wird. Aber wir tun ihm insgeheim unrecht damit, der Kerl ist einfach nur gut gelaunt, müht sich mit unserem Fanzenglish redlich ab, zeigt uns den richtigen Weg, verabschiedet sich freundlich und nach dem Umsteigen in eine Straßenbahn unterhält er sich in der selben sonnigen Art mit seinem nächsten zufälligen Gegenüber, einem eleganten Schwarzen in Smoking, der ihn angrinst wie ein alter Freund. Einfach keine Lebensminute mit Langeweile vergeuden!

Mit der Altstadt von Nantes ist das Schloss der Herzöge der Bretagne 
unser Schwerpunkt des heutigen Tages, da es mit dem Historischen Museum einige unserer eklatanten Wissenslücken stopfen könnte. Die darin befindliche Exposition geht sehr plastisch auf die Geschichte der Region ein, vom Detail auf das Ganze und retour, inklusive der psychosozialen Umbrüche und Einschnitte im Lauf der Jahrhunderte. Gerade der lange Wasserweg der Loire, den wir soeben hinter uns gebracht haben, macht uns sensibel für das Schicksal dieser "Chimäre, hervor gewachsen aus Loire und Atlantik, nicht richtig Fluss, nicht richtig Meer..." .

Und es reift der unausgesprochene Entschluss, diesen kleinen Sprung in den Atlantik zu wagen, ebenfalls chimärenhaft mit Auto und offenem Kanu werden wir uns über dem Landweg zur nahen Küste des Ozeans wagen und als Abschluss des krönenden Abschlusses dem Boot und uns eine kleine Meerestaufe gönnen, als waghalsig mit der Brandung kämpfende Badegäste. Mit unserem offenen Boot einfach in die Lagune weiter hinaus zu paddeln, wäre sicher kein Ding der Unmöglichkeit, aber eine fahrlässige Gefährdung des eigenen Lebens, da einem die Weiterfahrt ab Nantes ausschließlich mit seetüchtigem Material (& entsprechende Kenntnis) ans Herz gelegt wird. 

Es ist also an der Zeit, hier Abschied zu nehmen, wir danken für das eventuelle Interesse an unserer kleinen Reise, eine Nischenaktivität unter den geheimen Fittichen einer lieblichen Loire.

















Freitag, 19. Juli 2013

Abschluss Oudon - Nantes

Es ist unsere letzte Etappe, ausgeheckt in letzter Minute. Bei weiterhin strahlendem Sonnenschein sind wir zwei Stunden früher am Wasser als sonst. Wir genießen nun besonders die letzten Flusskilometer, haben keine Eile, ein letzter langer Blick noch auf das schöne Oudon.

Die Flut hat den Wasserspiegel  um einen halben Meter angehoben, aber es strömt immer noch flussabwärts. Erst nach einer Straßenbrücke bei Thouare-sur-Loire kommt uns das Wasser definitiv entgegen.
 Wir bewegen uns nun relativ langsam dicht am Ufer flussabwärts. Alle potentiellen Strände sind überflutet, Bäume und Sträucher stehen im Wasser. Die herauf strömende Lagunenatmosphäre bildet einen wunderbaren Abschluss unserer Tour. Zahlreiche Vögel sitzen in den Uferbäumen, vor allem die Möwen machen sich mit ihrem Geschrei bemerkbar.  Unter die Straßenbrücke km 945,5 umfahren wir im Hauptstrom links eine große Insel, welche uns vom Campingplatz trennt. Der rechte Seitenarm wird durch zahlreiche Wehre blockiert, die bei Ebbe alle trocken fallen. Als wir jedoch von unten in den Arm einfahren, ist gerade der Höhepunkt der Flut vorüber und wo gestern eine schmale, verblockte Rinne zu sehen war, erstreckt sich nun ein breiter See. Die Wehre sind soweit das Auge reicht komplett überflutet. Die gestrige Erkundungsfahrt erleichtert das Auffinden des Ausstiegs. Der Campingplatz Belle Riviere ist vom Wasser aus nicht zu sehen, dafür ein vorgelagertes Kieswerk. Zum Glück ist Ostwind und die Staubschwaden der Lastwagen weht es in die andere Richtung. 
Wir haben noch genug Zeit und gönnen uns als krönenden Abschluss ein kühles Bad an einem gegenüber liegenden Strand.  

Der Mann von gestern ist heute nicht zuständig, die Chefin hört sich alles nochmals an. Es dauert ein wenig, bis wir an der Rezeption unsere kompliziert klingenden Manöver verständlich machen können.  Zelt aufbauen - mit dem Zug nach Oudon - Auto holen - zwei Nächte bleiben. Paddler dürfte es hier selten her verschlagen haben.

Aber nun ist es geschafft, das Zelt steht, das Auto ist auch da und mit dem herannahenden Abend werden wir zusehends von durchwegs deutschen Radlern umringt, die - zumindest heute - vergleichsweise wenig Unterhaltung und Lebensfreude mitbringen, im Vergleich zu den lebendigen Franzosen. Eher mürrisch hocken sie an ihren Tischen, sind peinlich darauf bedacht, dass außerhalb ihrer Kreise die Kapsel der Anonymität nicht aufplatzt, verunsichert misstrauisch oder einfach nur K.O. vom Radeln? Wenigstens spielt der Nachwuchs da nicht mit und stürzt sich ins lautstarke französische Getümmel am mittig gelegenen Spielplatz - Tischtennis, Minigolf, Schaukeln, Sandkästen, Lachen, Schreien und Herumrennen, alles was das Kinderherz begehrt.  

Mittwoch, 17. Juli 2013

Autorückholung über Nantes

Der strahlende Sonnenschein an diesem Morgen steht in krassem Gegensatz zu unserer Laune. Unsere Stimmung ist in einem miserablen Stadium, lustlos bereiten wir alles für die kommende Pflichterfüllung vor, das Auto zu holen. Im Grunde haben wir unser Ziel, Orleans - Nantes per Boot nicht ganz erreicht. Aus Unsicherheit, Verzagtheit, schlecht organisiert, wer weiß. Die Loire strömt dahin, so entgegenkommend war dieser Fluss, nun kneifen wir, eigentlich hätten wir noch Zeit, aber wir sind raus. Die Angaben der Rezeptionistin von Montsoreau über den Campingplatz vor Nantes waren uns etwas zu vage, bei einem Ausstiegspunkt sollte man sicher gehen, sonst geht etwas in die Hosen, weil alles anders aussieht, als man es erhofft hatte.

Auf solchen Reisen kappen wir bewusst die Verbindung zu Internet und Konsorten, wir bewegen uns wenn möglich in der Unvirtualität, fragen Einheimische und keine Suchmaschinen. Eine ebensolche hilfsbereite Einheimische hatte uns am Vortag in die Benutzung der Regionalbahn eingewiesen. Eigentlich läuft alles wunderbar und doch warten wir sauer wie trotzige Kinder am Bahnsteig auf den Regionalzug nach Nantes. Ich weiß es nun mit Sicherheit, wir hätten doch nicht hier aufhören sollen. Wir haben den schönen Abschluss verschenkt, steigen statt dessen ohne Perspektive in diesen Zug und verplempern die schönsten Tage im Jahr. Und dann - endlich ein rettender Plan! Wir steigen in den Zug und wir werden weiter paddeln. Meine Idee ist spontan einfach und gibt unserem Unternehmen wieder den alten Schwung zurück.

Die Fahrkarte dürfen wir beim Schaffner lösen, denn der Automat am Bahnhof ist kaputt. Aber ansonsten stimmt der Komfort, bequem erreichen wir in Kürze den Gare SNCF im Zentrum. An der Information bemüht man sich redlich St. Ay zu finden und wir bekommen mit einmal Umsteigen über Blois eine relativ rasche Verbindung. Bis zur Abfahrt geht sich ein Abstecher ins Zentrum zur Cathedrale Saint-Pierre-et-Saint-Paul aus.
Wir genießen nun die Zugfahrt, ab und zu gelingt ein Blick auf die Loire und frische Erinnerungen an die letzten Tage werden wach.

Spielender Junge im Abteil
St. Ay hat uns wieder. Das Auto ist noch da, wir bezahlen 53,50 € für den Standplatz und schon geht es retour. Das berühmte Bremsenquietschen hat uns auch wieder. Bremse, Handbremse, Hirnbremse. Bleibe besser mal stehen. Mit einer verzweifelten Dusche aus der Wasserflasche Richtung Bremsbacke versuche ich den Dreck etwas aufzuweichen, mit dem Erfolg, dass es zischt wie bei einem Sauna-Aufguss! Verdammt, das wird ja heiß! Das dürfte nun ziemlich brachial gewesen sein, sicher nicht gesund. Aber Wasser sollte so eine Bremse doch aushalten! Gott sei Dank, das Quietschen ist vorerst einmal weg. Belag ist auch noch erkennbar. Aber nach jedem Bremsmanöver ist es eine Weile wieder da. 

Wir lassen Oudon links liegen und fahren die Autobahn weiter Richtung Nantes. Unser Plan ist, den Campingplatz per Auto zu finden, die Lage am Wasser zu erkunden und falls erforderlich - einen Platz zu reservieren. Über die Abzweigung Thouare-sur-Loire gelangen wir schließlich zum Camping Belle Riviere, nur wenige Kilometer vor Nantes. Der Platz ist ziemlich voll, es herrscht reger Betrieb, die Leute stehen Schlange in der Rezeption. Mit einigem Hin und Her gelingt es klar zu machen, was wir wollen und einen Platz für morgen zu reservieren. Wir zählen und zahlen als "Radfahrer". 

Wir erkunden den Ausstieg am Ufer. Es war richtig, vorher her zu kommen und die Lage zu besichtigen. Der Platz liegt hinter einer Insel, vom Hauptstrom aus nicht sichtbar. Der Seitenarm ist mit etlichen Wehren verblockt, die bei Ebbe alle trocken fallen. Von oben ist da kein Durchkommen. Man muss also die Insel von unten umrunden und bei Ebbe das Boot einen knappen Kilometer durch das seichte Wasser bringen, eventuell über die Steine vor dem Ausstieg heben. Aber das nehmen wir in Kauf. Abgesehen von der bei Ebbe schwierigen Zufahrt ist der Platz als Endpunkt einer Tour durchaus geeignet. Bahn und Bus lassen sich zu Fuß erreichen. 

Zufrieden fahren wir mit dem Wagen durch das Loiretal zurück nach Oudon. Die Sonne ist schon hinter dem Horizont verschwunden, eine funkelnde Venus folgt ihr nach. Die junge Rezeptionistin öffnet uns trotz der späten Stunde freundlich und es dauert eine Weile, bis wir unser kompliziertes Manöver ausdolmetschen können. Wir bleiben diese Nacht noch hier, das Auto holen wir dann morgen am Abend. 
Wir zahlen gleich 3,50 € für den Standplatz und für die Nacht: nichts, geschenkt. 
Warum das?  
Weil wir ja den ganzen Tag nicht da waren.



Dienstag, 16. Juli 2013

Von Florent-le-Vieil bis Oudon




Wir verbinden die morgendliche Suche nach frischen knusprigen Baguettes mit der Besichtigung von Florent-le-Vieil, eine malerische Kleinstadt, einem historischen Brennpunkt der Vendée-Kriege. Am Plaza Mont Glonn bietet sich unter weiterhin strahlend blauem Himmel ein wunderschönes Panorama des Loire-Tales dar. Wie eine Klippe ragt die Abtei am unterem Ende des Platzes aus der Altdünung einer blutigen Vergangenheit, gegenüber befindet sich eine Gedenksäule auf einem kleinen Hügel. Jene erinnert an den Übertritt der Armee Vendéenne über die Loire 1793, an das maßlose Verwirrspiel des Bürgerkrieges in einer nicht enden wollenden Gewaltspirale. 
Einige französische Pfadfinder, welche der Gedenkstätte einen Pflichtbesuch abstatten, grüßen korrekt beim Vorbeigehen. Direkt neben der Abtei befindet sich ein gut ausgestatteter Boule-Platz. Es geht mit dem ofenfrischen Gebäck durch die engen Gässchen, eine sehr vielversprechende Ausstellung erstklassiger Aquarelle öffnet erst um 14 Uhr, so lange wollen wir dann doch nicht bleiben. 

Es ist unsere letzte Etappe bis Oudon, vor allem sind wir auf die Gezeiten gespannt. Irgendwann könnte es zu einer Verlangsamung oder gar einer Gegenströmung kommen. Die Loire wirkt tatsächlich eine Spur langsamer, aber von Gezeiten ist noch nichts zu bemerken.

Dafür hat es eine Affenhitze und wir legen ab und zu hinter Buhnen an, wo sich meist ein kleiner Sandstrand gebildet hat und nehmen ein kühlendes Bad. In einer der Buchten schwimmt erstaunlicherweise Sand in kleinen Flecken auf der Wasseroberfläche. 
Die Oberflächenspannung trägt die einzelnen Körner, welche wahrscheinlich vom Wind in die Bucht geweht werden. Wenn man kleine Wellen macht, gehen die Körner sofort unter. Einer dieser Flecken hat die perfekte Form eines handtellergroßen Herzens. Fasziniert und regungslos lassen wir das Herz an uns vorbei treiben. Es ist wie ein liebevoller Gruß eines sanft gestimmten Flusses, der uns auf dieser Fahrt vom ersten Paddelschlag an nur Angenehmes widerfahren lässt. 


Da wir über den Zeltplatz vor Nantes nichts genaues wissen, fassen wir den Entschluss, doch Oudon km 925 als Endpunkt unserer Reise zu wählen. Nantes lässt sich mit der Bahn leicht erreichen, von dort müssen wir die Rückholung des Autos organisieren. Wir wären gerne noch einen Tag am Fluss geblieben, aber die Sorge, dass alles zeitgerecht klappt ist dann doch größer. 

 


Oudon an sich ist keine schlechte Wahl, der Campingplatz ist sehr ruhig, der Bahnhof nur wenige Schritte entfernt. Wir nützen die restlichen Stunden des heißen Nachmittages, um den Ort und das Schloss zu erkunden, einem alten Turm am Hügel wurde eine banale Garage angefügt, entlang dem Havre-Flüsschen entdecken wir einen kühlen Waldpfad.





 



 Neben unserem Zelt grast ein Esel, den Wanderer zum Transport ihres Nachwuchses gemietet haben. Voll Hingabe spielen drei Männer vor dem Waschhaus Boule.

Montag, 15. Juli 2013

Von Chalonnes-sur-Loire bis Florent-le-Vieil

Ein stressfreier, strahlender, wolkenloser Morgen nach dem anderen, so wolkenlos, dass ein paar Kondensstreifen schon als Eintrübung des Himmels empfunden werden. Wir laufen noch einmal durch die stimmungsvollen Gässchen von Chalonnes, das wie viele Orte entlang der Strecke mit einer üppigen "Super-U" Einkaufsmöglichkeit ausgestattet ist.

Der ebenfalls üppige Wasserstand sorgt für eine gute Strömung, es ist fast zu Schade zum Paddeln, da man so weniger von der Landschaft mitbekommt, wir ziehen es vor, eine Weile auf dem Wasser still dahin zu treiben und das glitzernde Sonnenlicht in uns aufzusaugen. Es gibt kaum Motorboote und keine Schiffe, welche die Ruhe am Wasser unterbrechen würden.

Montjean-sur-Loire km 890 bietet auf der linken Seite einen schönen Anblick mit seiner Hängebrücke und dem charaktervollen Mauerwerk. Die Loire ist in diesem Seitenarm so schmal, dass wir uns in einen oberen Abschnitt versetzt fühlen.
Vor Ingrades km 895 kommt sie wieder auf ihre ursprüngliche Breite, verliert aber den Charakter einer Auen-Wasserwelt und verwandelt sich in eine Gegend flacher Dünen und Sandbänke. Unterhalb Ingrades finden wir eine schattige Stelle zum Grillen auf einer Insel.

Die Loire ist zu kurz für uns und die Zeit verrinnt. Das gestrandete und wie es aussieht mittlerweile ausgeräumte Wrack einer Luxusjacht zeugt von der Unerbittlichkeit des letzten Hochwassers. Wir sind bereits mehrmals an losgerissenen Booten vorbei gekommen, einmal lugte ein Kleinwagen im "Kopfstand" aus dem Gebüsch hervor.

Den nächsten passenden Zeltplatz finden wir rechts vor der Brücke von Florent-le-Vieil km 904. Der Ausstieg ist ziemlich schlammig, mit scharfen Steinen garniert und von einem Fischer besetzt, der jedoch wortlos Platz macht. Aus alten Ästen baue ich eine Rutsche über das Geröll, damit wir den Kanadier auch ohne umständliches Entladen ins Trockene bringen, wo der Bootswagen zum Weitertransport verwendet werden kann.
Es sind nur ein paar Schritte bis zum nächsten angenehmen, großen, günstigen Zeltplatz dieser Tour. Einige organisierte Kindergruppen bringen eine Menge Leben in den Abend. Wieder ergibt sich die Gelegenheit, bis zum späten Einsetzen der Dunkelheit das bunte Treiben des französischen Kinderreichtums zu studieren.

Sonntag, 14. Juli 2013

Von Bochemain bis Chalonnes-sur-Loire

Dieser Morgen ist noch herrlicher als die vorhergegangenen. Nach den Revolutionsfeierlichkeiten joggen sich einige entlang der Maine die überschüssigen Kalorien weg. Die sympathischen Schweizerinnen bepacken bereits ihre Fahrräder und wir plaudern über Druckstellen von Dreibeinhockern, die identisch sind von denen der Fahrradsättel. Wieder suchen Taucherteams unter der Brücke nach der ertrunkenen Person. 

Wir paddeln in einen heißen Sonntag, einzig auf der Suche nach einem schattigen Plätzchen am Wasser. Wir nehmen uns ausreichend Zeit und finden wenige Kilometer unterhalb eine schöne Insel.  Unter dem kühlenden Schatten der Weiden ist es gut auszuhalten. Der Sand ist so heiß, dass es an den Fußsohlen ordentlich brennt, das Wasser der Loire fließt so lauwarm dahin, dass die eingelagerten Getränke nicht richtig kühl werden wollen.

Die Hitze des frühen Nachmittags treibt immer mehr Leute auf die breiten Schotterbänke der Loire. Manche grillen sich in der prallen Sonne, andere spannen Sonnenschirme auf, oder suchen im Gebüsch der gegenüberliegenden Insel die man durch einen seichten Arm leicht erreichen kann, nach Schatten. Eine Gruppe junger Leute bevölkert weiter unten den Schotterspitz, tobt sich im flachen Wasser aus, aber sie benehmen sich nicht ungut und man hat das Gefühl, dass sie das Bedürfnis nach einer gewissen Distanz respektieren. Wir haben wirklich Glück mit unserem schattigen Plätzchen und sind froh, dass wir trotz des Andranges ungestört bleiben.

Es wird langsam Zeit, den Zeltplatz zu erreichen. Das sonnige Wetter nutzen auch die Wasserskiläufer, die mit ihren Motorbooten in einem abgegrenzten Bereich hin und her rasen. Wir sind von sehr schlimmen Erlebnissen mit Motorboot-Rowdies auf Donau und Weser buchstäblich traumatisiert und können solche "Freizeitbeschäftigungen" in Wasserbiotopen eigentlich nicht mehr akzeptieren.
Die Situation hier an der Loire ist zum Glück nicht so schlimm. Allein schon wegen der Untiefen und Schotterbänke ist die mit Bojen gekennzeichnete Fahrtrinne recht schmal und es gibt für Paddler eine breite sichere Zone außerhalb, wo Raser sehr schnell ihre Boote ruinieren würden. Auch hier erinnert mich die Loire an die Donau meiner Kindheit, als es dort noch nicht ein Kraftwerk nach dem anderen gab. Damals mussten sich die Motorisierten ebenfalls an die Fahrtrinne halten, da sie sonst auf Buhnen oder ähnliches aufgelaufen wären und gaben damit einen Teil des Flusses für Wassersportler frei. Mit den Stauseen hat sich das sehr zum Nachteil für Paddler, Surfer, Segler usw. verändert, da die gesamte Wasserfläche von Rasern in Besitz genommen wurde und es scheinbar keinen Konsens darüber gibt, dass Motorbootlenker - besonders unter dem Einfluss von Alkohol (!) - genauso aus dem Verkehr gezogen und bestraft gehören wie jene auf der Straße.
Wenn wir auch "Sport"Motorboote als störend und sehr umweltschädlich empfinden, kann man jedoch nicht behaupten, dass sich die Fahrer auf der Loire uns gegenüber rücksichtslos verhalten hätten.
Leider ist von den Motorbootfahrern auf vielen Flüssen und Stauseen in Deutschland oder Österreich das nicht zu erwarten, auch nicht, dass entsprechende Vorschriften eingehalten und Rowdies von einer halbblinden Strompolizei gemaßregelt werden. 
Wir haben noch nicht ganz heraus gefunden, woher die grundsätzliche Disziplin auf der Loire kommt, aber ich vermute, dass die Franzosen am riesigen Atlantik bessere Schifffahrtskompetenzen erlangen können und lieber auf offener See die Sau raus lassen. Sie verfallen so nicht in das Angebertum eines Provinzkapitäns, der sich auf jedem Ententeich produzieren muss. 

Mit einem Gefühl der Erleichterung lassen wir die lärmende Wasserski-Zone hinter uns, trotz des Getriebes haben wir den Campingplatz kurz vor Chalonnes-sur-Loire km 880 wohlbehalten erreicht.
Der große Platz ist, abgesehen von der nahen Straße, ebenfalls ruhig und günstig.

 Bei einem kleinen Erkundungsgang in den Ort fällt auf, dass in vielen kleinen Details in selbstloser Manier auf das aktive Wohl von Gästen und Bewohnern Rücksicht genommen wird. Vor der Einmündung der Louet in die Loire gibt es Volleyball-Netze auf den Schotterbänken, die Layon wurde zu einem Stadtteich erweitert mit ausgeschilderten Fischplätzen für Behinderte, angrenzend sind Schwimmbad und weitläufige Sportanlagen, überall Blumen und nochmals Blumen mit zahlreichen Bänken zum Rasten, Essen und Schauen.














Samstag, 13. Juli 2013

Von Les Ponts-de-Cé ins Herz von Anjou

Das Wetter ist ein einziges, stabiles Hitzehoch über Europa, ein leicht rötlicher Dunst lässt auf  Saharastaub schließen. Wir brechen am späten Vormittag auf und haben die spontane Idee, die wenigen Kilometer bis nach Angers die Maine hinauf zu paddeln.
 Dazu biegen wir bei Kilometer 868  rechts in die Mündung der Maine ein. Die Strömung erscheint nicht allzu stark.  Bald erreichen wir die Hängebrücke von Bouchemaine und begutachten vom Wasser aus den Campingplatz links am Ufer, den wir bei der Rückfahrt ansteuern wollen. Kleine Schwärme von Leihkajaks und -Kanadier paddeln auf dem Weg ins Wochenende zum Loiretal hinunter. Am Ufer warten einige Verleiher von Plastikbooten auf weitere Kundschaft. 8 Kilometer gegen die Strömung sollen es bis Angers sein, auch mit vollem Gepäck schaffen wir das ohne Probleme. Bald sind wir wieder allein in der Landschaft und  genießen die frische Atmosphäre des kleineren Flusslaufes zwischen bewaldeten Hügeln mit felsigen Flanken. Es gibt noch Anzeichen des letzten Hochwassers, die Innenufer sind verschlammt, Uferbäume voll Schwemmholz, die Vegetation mit den charakteristischen waagrechten Schlammmarken. Auch das Wasser wirkt trübe wie nach Regenfällen. Die Strömung wird ein wenig dynamischer, wir halten uns knapp am Ufer. In der Hälfte des Weges erreichen wir das markante Gebäude eines alten Konvents auf einem Felsen, daneben ankern alte Frachtkähne, Anzeichen einer latent existierenden Schifffahrt. Die langsame Annäherung spornt unsere Neugier auf die Stadt erst richtig an, in der Ferne sehen wir schon Brücken, einige komische Tafeln und ... eine Wehr.
Hm, man hat sich tatsächlich die Mühe gemacht, die Maine auf 10 (!) cm aufzustauen und mit einer kompletten Schleusenanlage zu versehen. Hinweis und Verbotstafeln dirigieren Sportboote auf eine Umtragungsroute von mehreren Hundert Metern, mit praktisch unpassierbarem Ausstieg, Schlamm mit Geröll vermengt. Ich laufe in der Hitze auf und ab und suche nach einer besseren Stelle, wo wir das volle Boot ohne umständliches Entladen hinauf bekommen. Da kommt ein kleines Passagierschiff von unten! Wir lassen die untragbare Umtragestelle und zwängen uns frech hinter dem Dampfer in die Schleuse.  Sie lassen uns tatsächlich mit hinein, die Bordcrew gibt mit einigen Gesten Anweisungen, einen gewissen Sicherheitsabstand zum Schiff einzuhalten.

Vor uns liegt das historische Zentrum Angers welches unter dem blauen Himmel glänzt. Die wuchtigen Zylinder der Stadtmauer aus Tuffgestein und Schiefer beherrschen zusammen mit dem Château du Roi René das linke Ufer (stromab gesehen) der Altstadt. Darunter ziert ein vielleicht 200 Meter langes zeitgenössisches Fries die Kaimauer, dessen chaotisch-fantastischen Motive auf Holzplatten eine Anlehnung an die berühmten Wandteppiche der Apokalypse sein könnten. Danach bestimmt die Kathedrale von Angers die Skyline, während rechter Hand der kleine Hafen, die Restaurant- und Kasinoschiffe, das Getriebe auf den Promenaden und der Fischer unter der Pont de Verdun die Stimmung an der Maine ausmachen, ein Fluss, der bald oberhalb der Stadt seinen Beginn hat, denn dort vereinigen sich Mayenne und Sarthe an der Insel Saint-Aubin, einem landwirtschaftlich genutzten Naherholungsgebiet. Im südlichen Teil der Stadt, am Lac de Maine gibt es einen **** Campingplatz als Option für jene, die hier einige Tage investieren wollen. Dort erstreckt sich an der Maine eine weitläufige aber noch leere Flussarena, die bei unserem Eintreffen von riesigen Lautsprechern mit Popmusik beschallt wird. In der Flussmitte befinden sich Bontone mit Feuerwerkskörpern, startbereit für die Revolutionsfeierlichkeiten heute Abend.
 Am Rückweg haben wir wieder Glück mit der Wehr. Der Schleusenwart, ein netter junger Kerl, lässt mit sich reden und spendiert uns eine Extraschleusung. Der Tag ist somit gerettet.

Nach der reichhaltigen Architektur von Angers wirkt das Alte Konvent von Baumette auf seinem markanten Felsen nicht weniger reizvoll. Der Strand davor ist so einladend, es ist unmöglich, einfach daran vorbei zu fahren.
In die Felsen am Ufer wurde vor langer Zeit eine Stiege geschlagen, um die Stelle passierbar zu machen. Die Stufen haben sich im jahrhundertelangen Gebrauch zu sanften Mulden ausgeschliffen. Die burgenhafte Front des Gebäudes aus hiesigem Naturstein ist von dichten Ranken überwachsen, die uralten Fenster verraten nicht, inwieweit im Inneren das Leben bereits verloschen ist, über allem liegt eine märchenhafte, verwunschene Stille. Am Scheitel der Stiege befindet sich eine merkwürdige Inschrift "Qui à fait faire de degré? C'est le bonhomme PANNETIER dites pour lui pater ave 1599. Cette inscription enlever en 1909. À été établie par les soins de la municipalité & de la Société d'Agriculture Sciences & Art d' Angers en 1911.
Auf der anderen Seite haben ein paar Jugendliche ihre Autos am Strand geparkt, albern in der Hitze herum, zwei Mädchen schmusen genüsslich im Wasser. Von dort führt ein in den Felsen geschlagener, ebenfalls von Millionen Fußtritten ausgeschliffener Hohlweg der mit tausenden Glasscherben übersät ist zum verwaisten Plateau mit Parkplatz hinauf, eine echte Herausforderung für meinen barfüßigen Pilgerweg. Das Fronttor präsentiert sich leider als informationslos geschlossen.  
Kurz vor unserem Ziel legen wir nochmals für ein kleines Picknick an einem schattigen Uferfelsen an. Kaum haben wir es uns gemütlich gemacht, braust eine Motorjacht mit voller Fahrt den kleinen Fluss hinauf. Mit der Lärmbelästigung kommen rasch die kurzen hohen Wellen angewandert, es wird knapp. Hektisch bringen wir unseren ausgebreiteten Proviant in  Sicherheit, dann springe ich zum Boot und kann es im letzten Moment von den scharfen Felskanten weghalten. Es ist einmal mehr eine anschauliche Situation für die Rücksichtslosigkeit gewisser Möchtegern-Kapitäne. Wobei hier festgehalten werden muss, dass es sich bei diesem Rowdy offensichtlich um eine krasse Ausnahme handeln musste. Die Motorbootfahrer und Wasserskifahrer auf der Loire hatten bislang bei Paddlern immer das Gas zurück genommen oder zumindest ausreichend Abstand gehalten. 
Gemächlich legen wir die letzten Kilometer zurück, weit vor uns sehe ich ein kleines Grüppchen mit Leihbooten  in der letzten Biegung verschwinden. Auch unter der Eisenbahnbrücke sehen wir die grellen Boote, die Jugendlichen machen wohl erste Erfahrungen, paddeln linkisch hin und her, jauchzen vergnügt unter den Steinbögen, spielen mit dem Echo. Wir probieren es auch gleich mal.
Ein Paddler-Club trainiert mit mehreren 4er-Teams, ein Trainer im Motorboot gibt energisch Anweisungen. Sie ziehen mit viel Einsatz an uns vorbei. Wir gleiten hingegen gemächlich an den voll besetzten Uferrestaurants von Bouchemaine vorüber und bemerken dann an der Hängebrücke sofort, dass etwas Tragisches passiert sein musste.  Einsatzwagen stoßen gerade zum Ufer vor, Gruppen von Schaulustigen stehen am Radweg und auf der Brücke. Boote der Feuerwehr werden neben uns ins Wasser gelassen, die Teams des Paddel-Clubs und einige private Motorbootfahrer kurven bereits zwischen den Pfeilern herum und sammeln Bestandteile einer Ausrüstung zusammen, rufen sich etwas zu. Eine Gruppe junger Leute mit Kindern steht zwischen den Einsatzwagen, umringt von uniformierten Einsatzkräften, sie werden gerade befragt, verzweifelt deuten sie aufs Wasser. Vor ihnen liegen die typischen Kajaks eines Verleihers. Kein Zweifel, hier ist soeben jemand ertrunken.
Ich sehe mir die Lage an, komme aber zu dem Schluss, dass es für uns keine Möglichkeit gibt, hier helfend einzugreifen. Wir stellen also unser Zelt auf, das Geschehen vor unserer Nase. Tauchmannschaften suchen systematisch den Grund ab, markieren diverse Stellen mit Bojen. Polizisten gehen das Ufer ab. Einheimische suchen den Flusslauf bis zur Mündung in die Loire ab. Diese Suche kann noch Stunden dauern.


Einstweilen versuchen wir uns auf dem Campingplatz zurecht zu finden, der keine Rezeption hat, was anfänglich gewöhnungsbedürftig ist . Es es eher ein komfortabler Standplatz für Camper, am Schranken muss man mit Karte zahlen, bekommt dafür ein Ticket mit Code für Dusche und Warmwasser. Der Preis ist mit 5 € pro 2 Personen und Nacht äußerst günstig. Zwei nette Schweizer Radfahrerinnen haben das System schon durchschaut und erleichtern uns mit einigen Tipps die Orientierung. Über den Unfall am Fluss können sie nur sagen, dass es sich laut Gerüchten um einen Mann im Kajak handeln solle, der aus irgend einem Grund ins Wasser gestürzt sei, offensichtlich keine Schwimmweste getragen habe und wahrscheinlich auch nicht schwimmen konnte. Bei den Personen am Ufer könnte es sich um Angehörige oder Freunde handeln. Sie werden immer noch von den Uniformierten befragt und betreut. Schnellboote der Feuerwehr rasen nun die Unfallstelle auf und ab. Man will damit wohl bezwecken dass sich durch Wasserbewegung der Körper vom Grund löst. 

Wir machen einen Rundgang durch den Ort und kommen zu einem Straßenzug, der von den Einheimischen für die Revolutionsfeierlichkeiten abgesperrt wurde. Die gesamte Nachbarschaft scheint versammelt zu sein, bereits jetzt geht es hoch her. 
Es wird Abend und bis zum Einbruch der Dunkelheit geht die Suche nach dem Vermissten weiter. Noch immer stehen einige Schaulustige am Ufer und sehen den Taucherteams zu, welche nun mit Lampen im nachtschwarzen Wasser den Grund absuchen. Entfernter Donner und der farbige Schimmer der Feuerwerke leiten die offiziellen Revolutionsfeierlichkeiten im Bezirk Anjou ein.

Freitag, 12. Juli 2013

Ein Tag in Les Ponts-de-Cé

Um etwas mehr von Land und Leuten zu sehen legen wir einen Ruhetag in Les Ponts-de-Cé ein. Die Stadt wird von Kanälen geteilt und durch Brücken verbunden. Manche Gräben dürften früher mehr Wasser geführt haben, die Ile du Chateau mit dem angrenzenden Campingplatz steht mittlerweile auf dem Trockenen.

Wir freuen uns auf Besichtigung der Residenz von König René, ein kleines Schloss aus dem 15. Jahrhundert, von dem es liebliche Darstellungen gibt, wo es noch von Wasser umgeben war. Aber es hat Vormittags zu.
Somit laufen wir über die Brücken in die Stadt, um uns  erst einmal umzusehen und bei Gelegenheit die Verpflegung zu ergänzen. Dabei stoßen wir auf die Église Saint-Aubin deren Gotik auf einem über 1000-jährigen Fundament steht. Im Inneren überrascht eine Wandmalerei, vermutlich romanischen Ursprungs, eine Kreuztragung Christi, an der am überlangen Kreuz der damalige Ritteradel tatkräftig mitwirkt.

Am Nachmittag pilgern wir zum Schloss und tauchen in dieses eigenwillige Bauwerk  ein, welches vor allem eine Stickhaubensammlung in sich birgt. Man hatte sich bemüht, diese enge Thematik mit einem Heimatmuseum zu erweitern, welches einen netten Einblick in die biedere Lebenskunst der französischen Vergangenheit ermöglicht, beginnend mit alten Boule-Kugeln aus Holz, Weinetiketten, Sortements von Gewürzen und Kräutern in der regionalen Küche, Literatur, Theater, Fischfang, Geologie und historische Landschaften, Portraits, Windmühlen, Schmuck, Babykleidung und Heiratskronen.
Es folgen einige Skizzen.



Boule-Kugeln und eine alte Windmühle
 Es erübrigt sich zu sagen, dass die Franzosen mit extremer Hingabe Boule spielen. Der Aufbau und die Handhabung der Kugeln ist eine mit Magie durchsetzte Wissenschaft. Die Urform dieser Kugeln ist mitnichten rund.



An Bergkuppen lassen sich immer noch die eigenartigen Fundamente der hölzernen Windmühlen finden. Original erhaltene sind natürlich sehr selten geworden, an einigen Stellen jedoch von der Loire aus sichtbar gewesen.



Fischfang-Studie nach einer alten Postkarte
Vor eingen Tagen hatten wir von einem Strand aus zwei Fischern bei der Arbeit zugeschaut. Abgesehen von Außenborder und Netz war ihr Stil und die Arbeitsteilung im Grunde im selben Schema wie auf der nebenstehenden Skizze.

LiebhaberInnen von Stickhauben sind hier im siebenten Himmel. Selbst für jemanden der sich nie für dieses Thema interessiert hat, ist diese Sammlung eindrucksvoll. Neben dem großem Arbeitsaufwand, solche Hauben herzustellen, wird das Hierarchieverständnis der Trägerinnen lebendig gemacht und die vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten an Formen und Mustern. In ihnen drücken sich individuelle Bedürfnisse und Entfaltungsmöglichkeiten aus, in einer Welt, die Emanzipation im heutigen Sinn nicht kannte. Interessant auch die beiläufig mitgelieferten Darstellungen der Betreuung von Kindern besser gestellter Eltern.

Nicht erst beim Verlassen des Museums verwundert immer wieder das rustikale Bild von Booten, Ufern, Brücken, Gassen, als wäre für manche Orte die Zeit wesentlich langsamer vergangen. Wenn in Frankreich etwas neu gebaut wird, heißt das nicht unbedingt, dass das Alte niedergerissen wird. Oft bleibt es einfach stehen, verfällt, oder das Neue wird äußerst sparsam und unauffällig in die alte Bausubstanz integriert. Das milde Klima begünstigt eine luftigere Bauweise und verhindert ein rasches Zermürben der Architektur. Alte Bausubstanz aus regionalem Tuff, Schiefer, Schamott und Holz bleibt dadurch über Jahrhunderte bewohnbar.

Ebenso ist auf den Campingplätzen ein Vintage-Trend zu beobachten. Mancher Jungspund pflanzt auf den feinen Rasen ein Uralt-Leinenzelt (vom Opa oder aus dem Internet?), Oldtimer sind auch bei Zugfahrzeugen oder Wohnwagen vertreten. Die Familie gegenüber lagert mit einer lebendigen Kinderschar um ein Wohnwagenei aus dem Jahre Schnee. Was es nicht an Platz bietet, wurde an Appartements dazu gemietet.
Wir packen unsere Feuerschale mit dem rasenschonenden Untersatz aus, ich sammle ein paar dürre Äste von den dicken Bäumen und wir wagen es, ein dezentes Feuerchen zu machen, um Pizzareste von gestern heiß zu machen.
Niemand regt sich auf, die Rauchschwaden werden tolerant übersehen.

Dann macht mir die Madame von Gegenüber den Gefallen und zieht sich hinter den alten Wohnwagen zurück, setzt sich mit dem Rücken zu uns in einen weißen Plastikstuhl, wirft ihre perfekte Figur in eine malerische Position und beginnt sich genüsslich zu schminken. Schnell versuche ich eine Skizze, aber leider wird sie bald von den Kindern entdeckt und nicht mehr in Ruhe gelassen, bis sie aufsteht und wieder im Trubel ihrer Familie verschwindet.



Ich denke, die kinderreichen Familien der Franzosen bereichern nicht nur die zukünftigen Pensionskassen, sondern bereits jetzt das soziale Leben in Familie und Gesellschaft. Dies ist ein menschlicher Vorsprung, den die Franzosen irgendwann für sich verbuchen können, wenn unsere überalterten Strukturen in Systemkollaps, Vereinsamung und Entfremdung enden.












Donnerstag, 11. Juli 2013

Von Gennes bis Les Ponts-de-Cé


In der Früh reizt mich der Aufstieg zu dem nahen Hügel, auf dem die Église Saint-Eusèbe als Teil des Circuit du Patrimoine zwischen den Baumwipfeln hervorragt. Ein alter mauergesäumter Weg führt die wenigen Minuten durch den Wald nach oben. Sofort fällt die gebogene achteckige Turmhaube und das teilweise karolingische Kirchenschiff mit seinen Fratzenreliefs ins Auge. Ein Blick zwischen die Bäume bietet eine weite Aussicht in das Loiretal.  Angrenzende Teile eines Seitentraktes haben den Charakter einer Ruine, welche das Memorial der Kadetten der Kavallerieschule von Saumur beherbergt. Eine Infotafel verrät, dass der Fund einer Merkurstatue sowie gallo-romanische Mauern darauf hindeuten, dass die Kirche einst auf antiken Resten erbaut wurde. Nach der französischen Revolution wurde das Gebäude entsakralisiert und als Knabenschule und danach als Rathaus verwendet.

 Der Wind hat die frühen Wolkenschleier verblasen, alles zeigt sich bei herrlichstem Sommerwetter in frischen Farben. Mit der sanften Strömung gleiten wir an sattgrünen Ufern entlang. Es folgen zahlreiche große Inseln mit vorgelagerten Sandbänken und eine am rechten Ufer Reihe kleiner Ortschaften mit charakteristischen Kirchen.

So urwüchsig die Natur hier dominiert, richtig einsam ist man nie, die idealen Stellen zum Anlegen sind meist schon durch Fischer oder Personen mit Leihbooten belegt. Sportbootfahrer oder Wanderbootfahrer haben wir in den letzten Tagen so gut wie nicht gesehen. Auf den Zeltplätzen sind wir ab Tours eine Ausnahmeerscheinung unter Radfahrern, Bikern oder Campern. Wir finden es interessant, dass wir vornehmlich unter Einheimischen sind.

Die Loire führt noch immer reichlich Wasser, aber wir müssen uns sehr nach den Bojen richten, die seit Saumur die Fahrtrinne anzeigen. Ein Abweichen ist unweigerlich mit dem Verlassen der Strömung und dem Auflaufen auf Untiefen verbunden. Wir taufen die Bojen ihrer Form und Farbe wegen "grüner Chinese" und "roter Kapitalist", Gegensätze,  die sich in dieser Form gefunden haben.

Die Loire wirkt nun wie eine weite Seenlandschaft, in welcher der schmale Strang der Hauptströmung hin und her schwingt. Auf manchen Inseln sieht man an höheren Böschungen Gebäude, vereinzelt Schafe, Kühe, aber ansonsten macht hier der Fluss, was er will, deutlich erkennbar an den gewaltigen Hochwassermarken und den natürlichen Abtragungs- und Verlagerungsmonumenten der Loire.

Schließlich finden auch wir einen kleinen Strand gegenüber der weit hingezogenen Kette der Kirchen am rechten Ufer. Doch selbst in dieser weiten Flussgeraden bleiben wir nicht allzu lange allein. Eine lebendige Kindergruppe legt mit Leihkajaks vielleicht 20 Meter neben uns an. Aha, einige müssen mal. Eine Aufsichtsperson pfeift die Schar zusammen, bald legen sie wieder ab. Die Kinder haben ihren Spaß, wackeln mit den Booten, fechten mit den Paddeln, der Betreuer muss gute Nerven haben und optimistisch sein, dass nichts ernstliches passiert.  


Wir lassen das Theater über uns ergehen, es ist zu schön, um sich aufzuregen. Fast andächtig paddeln wir dann langsam das letzte Stück bis Les Ponts-de-Cé, die Brücken davor bieten bei dem Wasserstand keine Probleme, sofern man mit halbwegs offenen Augen fährt. Die Reste der gesprengten Eisenbahnbrücke, die von der Wucht der Sprengung verrutschten Pfeile bieten einen kuriosen Anblick. Ein grüner Chinese und ein roter Kapitalist markieren die nur wenige Meter breite Durchfahrt, rechts und links sollen noch Eisenteile der Brücke im Flussbett liegen. Die Bojen schwingen in der Strömung hin und her, ist gar nicht so leicht, sie mittig zu nehmen. Auf einer der vorgelagerten Inseln lässt sich ein knallgelber Pirol bequem im Feldstecher beobachten.

Rechts nach der Steinbrücke im Hauptstrom von Les Ponts-de-Cé km 860 (die Stadt ist auf mehrere Inseln verteilt, der Hauptstrom wird durch die Bojen markiert) legen wir an der gepflasterten Rampe an. Vor dort ist es nur ein kleines Stück bis zum Camping de l'ile du Château , der Platz kostet 42,20 für 2 Nächte, die gute Lage auf Extra-Wiese, das angrenzende Schwimmbad mit den jauchzenden Gästen, Spielplätze, sonstige komfortable Ausstattung und das nahe Château natürlich rechtfertigen wohl den Preis. Wir machen noch eine schnelle Runde durch die Altstadt und lassen den Abend vor dem Zelt ausklingen. 

Mittwoch, 10. Juli 2013

Von Montsoreau bis Gennes

So malerisch Montsoreau auch ist, eine frische Baguette zum Frühstück und dann ziehen wir weiter. Die Stadt ist ein Touristenmagnet, am gut gefüllten Campingplatz tummeln sich Gäste aus Italien, England, Irland, Holland, natürlich viele Franzosen unter der Morgensonne, aber so gut wie keine Deutschen.
 
Um die Waschräume im Zentrum logieren die Radfahrer und Wanderer, in den Alleen  sieht man vor allem reich ausgestattete Camping-Mobile, am Rand gleich neben uns komfortable Hütten zum Mieten. Dort hat ein weiblicher französischer Fernsehstar exklusiv die Nacht verbracht und lässt sich schon zeitig in der Früh umringt vom Team eines staatlichen Senders von Schaulustigen begaffen. Die Reporter interviewen die Fernsehschönheit und einige repräsentative Gäste.  Mit unserem romantischen nordischen Spitzzelt und dem Plastik-Kanu zählen wir scheinbar nicht dazu. Doch der Star winkt uns zum Abschied und ich freue mich über diese private Geste die zeigt, dass es Very Important Persons gibt, die aus ihrer geschminkten, durch recherchierten Scheinrealität heraus einen siebenten Sinn für die banale Freiheit der Flussreisenden bewahrt haben.

Der Wetterbericht kündigt - nahezu unfassbar - weitere Hitze für die kommende Woche an. Im gleißenden Morgenlicht strahlt jede Einzelheit des Loiretales in idealer Schönheit.
Unterhalb der nächsten Brücke km 808 können wir einem weitläufigen Strand nicht widerstehen, die Hitze treibt uns ins Wasser, wir schwimmen gegen die sanfte Stroemung und legen uns unter den Schatten der ausladenden Baumkronen. In der Nähe gibt es Schafe und der Sand ist so heiß, dass man barfuß nicht darauf laufen will.



Die Loire wird nun sehr breit, die Strömung pendelt zwischen den Inseln hin und her, es gibt viele seichte Stellen, die bei Niederwasser sicher alle trocken fallen und dem Flusslauf einen ganz anderen Charakter geben. Es geht nun merkbar langsamer voran. Der Ostwind setzt uns manchmal seitlich zu, wie solche Stellen bei kräftigem West(gegen)wind zu fahren wären, male ich mir lieber gar nicht aus. Die hochsommerlichen Schönwetterbedingungen schalten alle weiteren Schwierigkeiten aus. Es gibt weder Unwetterwarnung noch Umtragungsschikanen,  die Strömung macht die Tagesetappen zum Kinderspiel, die Menschen sind ultrafreundlich. Es kommt die absurde Lust auf, zu bremsen, im Rückwärtsgang stromauf zu paddeln, um Strecke und Zeit zu sparen.

Wir kommen nach Saumur km 818, auch hier müsste man mindestens einen Tag bleiben. Kavalerieschule, Notre Dame des Ardilliers und das Schloss gleiten viel zu rasch vorüber, von der Stadt selbst bekommt man vom Fluss aus eher wenig mit.


In der Hitze des Tages lassen wir so manche weitere Sehenswürdigkeit liegen, wie Treves Cunault km 829.

Unser Tagesziel ist Gennes km 834, hier können wir uns ein wenig umsehen.  Gleich nach der markanten Hängebrücke gibt es am linken Ufer eine breite mit Steinen gepflasterte Rampe, wir schieben den Kanadier am Bootswagen über rumpeliges Pflaster die 250 Meter zum Campingplatz oberhalb der Brücke. Wie immer in den letzten Tagen begegnen uns Ruhe und Freundlichkeit trotz der zahlreichen Kinder, welche ihre Lager hier aufgeschlagen haben. Wir finden einen schattigen Winkel und beobachten französische Radfahrer, Auto-Camper und organisierte Feriengruppen, die vom großen Kochen erfasst werden. Überall begibt man sich zu Klapptisch und isst zu Abend.

An den kulinarischen Rhythmus der Einheimischen wollen wir uns nicht anpassen, da die touristische Neugier zu groß ist und wir brechen auf, um die Umgebung zu erforschen.  Wir wandern aufs Geratewohl zur Église Saint-Vétérin, einem eindrucksvollen Bauwerk dessen Geschichte bis ins 9. Jahrhundert zurück geht. Dann stolpern wir über einen Lageplan, welcher die Position von Dolmen und einem Amphitheater anzeigt.


Wir latschen aus der Stadt hinaus und besichtigen einen der Dolmen, welcher ca. 4000 Jahre am steinernen Buckel haben soll. In geschichtlicher Zeit war der Dolmen noch als Stall und/oder Backstube verwendet worden. Heute dient er als begehbare Touristenatraktion. Zuvor habe ich noch nie ein Bauwerk gesehen, das ohne wesentliche Umbauten über mehrere Jahrtausende in Verwendung ist. Die Platten scheinen auf den senkrechten Felskanten zu schweben, die minimalen Auflagepunkte haben allen Erschütterungen und der Verwitterung getrotzt. Geplante Obsoleszenz kam den Erbauern sicher nicht in den Sinn und dient so nebenbei als Mahnmal der Beständigkeit für die Architekten unserer Halbwerts-Wegwerfgesellschaft.



Wir treten den langen Weg zurück an, über die Hängebrücke zur anderen Flussseite. Gennes war im Frankreichfeldzug 1940 Schauplatz eines außergewöhnlichen Gefechts. Beim Betreten der Brücke sind die feinstofflichen patriotischen Schwingungen zu spüren.


Wir finden an mehreren Stellen Gedenktafeln von der Schlacht von Saumur (Battle of Saumur), bei der an der Brücke von Gennes eine Handvoll junger Kadetten der Kavallerieschule in heldenhafter Weise den weiteren Vorstoß der deutschen Wehrmacht für zwei Tage aufgehalten konnten. Der Geist des Widerstandes wurde angefeuert von der Notwendigkeit die Brücken so lange wie möglich für eigene Transporte und den Flüchtlingsstrom zu halten.