Fulda - Weser und Loire

Freitag, 15. Juli 2011

Von Hoya bis Verden


Weser und Aller 15. Tag

Morgenstimmung in Hoya

In der Früh hat der Sturm an Stärke verloren, der raue Wind geht in feinen kalten Nieselregen über. Grauer Himmel, der sich von einem Horizont zum anderen spannt, lässt die Hoffnung auf warme Sommersonne verschwinden.

Wir haben eine Etappe von ca. 33 km bis Verden an der Aller vor uns.

Vor allem in der ersten Tageshälfte setzt uns das ungute Wetter zu, mit dem Feuchtigkeitsgehalt in der Atmosphäre geht die Stimmung meiner Paddelpartner den Bach hinunter. Besonders die Motivation von unserem Junior tendiert unrettbar gegen den Nullpunkt. Dabei macht mir persönlich das Wetter wenig aus, der Körper hat sich längst an die Anstrengungen gewöhnt und es treibt mich die keimende Gewissheit an, es trotz unserem knapp bemessenen Zeitrahmen bis Bremen schaffen zu können. Doch langsam gehen mir die Mittel, Geschichten und Methoden aus, meinen Optimismus auf die anderen zu übertragen, sie zu motivieren, mit guter Laune Reserven frei zu machen. Nicht dass wir uns zum Paddeln zwingen müssten, aber es ist eine Etappe, die jeden von uns auf seine Art fordert. 

Diesmal folgen wir vor dem nächsten Kraftwerk nicht dem gestauten Weserlauf, sondern biegen in den Schleusenkanal Dörverden km 308,4 ein, wohin wir wegen Renovierungsarbeiten umgeleitet werden. Im Kanal werden wir von einem Transportschiff langsam überholt, in der Hoffnung, mit dem Kahn zusammen geschleust werden, legen wir einen Zahn zu. Dann bleibt uns bei diesem Wetter wenigstens das Umtragen erspart. 
 
An der Schleuse leuchtet tatsächlich eine grüne Ampel, wir halten das Tempo, aber dann stellt sich heraus - unser Schiff muss warten, da ein anderer vor ihm geschleust wird. Das ganze Areal ist eine große Baustelle, die Bootschleppe welche im DKV-Flussführer beschrieben ist, existiert nicht mehr. Stattdessen gibt es zwei Motorbootstege mit Gegensprechanlage. Dort frage ich freundlich nach, ob wir mit dem Schiff in der offenen Schleuse mitgeschleust werden können. Die Ampel steht noch auf Grün.  "Nein" - "zu gefährlich". 

Beim Anblick der "Umsetzungsanlage" kommt das Gegenteil von Freude auf.  Nicht nur, dass die Pontonkante so hoch ist, dass wir die Boote komplett ausladen müssen,  führt zum Ufer ein schmaler Steg mit hinderlichem Geländer, wo sich der Weg in steilen Betonstufen zur Dammkrone fortsetzt. Von dort sind es ca. 800 Meter über das Kraftwerk bis zum ebenso beschwerlichen Einstieg unterhalb des Werks. 

Also wandere ich erst einmal zur Schleusenanlage, um einen Umsetzwagen zu suchen und erwische tatsächlich den Wärter, wie er gerade an einem Bauzaun herum zerrt. Trotz der Abfuhr von vorhin bin ich betont freundlich, doch es nützt nichts, der Mann bleibt stur. Wir dürfen die Schleuse nicht benutzen, weil die Kähne angeblich zu lang sind, zu „unserer Sicherheit“ sollen wir umtragen. Auch mit dem nächsten Schiff das bereits wartet, werden wir nicht hinein kommen. „Manche Sportboote warten bis zu 4 Stunden oder länger, ich kann es nicht sagen ob etwas kleineres kommt, damit Sie in der Schleuse dazu passen.“
Hinter dem Bauzaun, der gerade verschlossen werden soll, steht ein Umsetzwagen.  „Ja, den dürfen Sie nehmen, aber stellen Sie ihn zurück.“ Dann lässt er uns im Regen stehen. 
Zurück bei den Booten sehe ich, dass vor der Schleuse ein Motorboot ebenfalls wartet. Doch es scheint unter diesen Umständen keinen Sinn zu haben, hier stundenlang im Regen auszuharren. Besser wir schleppen, es sind noch viele Kilometer vor uns.
Bei Wind und Regen zerren wir gemeinsam auf der Dammkrone den schwergängigen Umsetzwagen über den holprigen Grasweg. Dann geht es wieder steile Betonstiegen hinunter, enges Geländer, hoher Steg. Gehorsam stelle ich den Wagen wieder vor den Bauzaun. Wir beladen das Boot, zumindest der Regen lässt nach. Endlich am Wasser traue ich meinen Augen nicht!

Während wir in Dörverden nach Rücksprache mit dem Schleusenwärter übertragen müssen, wird parallel dazu ein einzelnes Motorboot geschleust.

Einen halben Kilometer entfernt, geht langsam das untere Schleusentor auf und das Motorboot, welches vorhin mit uns gewartet hatte, fährt ganz alleine langsam heraus. Dieser gemeine Schleusenwärter hat uns Umtragen lassen und daraufhin das Motorboot ohne uns geschleust! Ich bin nahe daran, meinen Unmut an der Sprechanlage auszulassen, aber rechtzeitig siegen Vernunft und Selbstbeherrschung. Die Betreiber und Betreuer dieser Anlage haben offensichtlich keine Vorstellung vom Wassersport, sonst hätte dieser Wärter nicht so stupide gehandelt, bzw. gäbe es eine zumutbare Umsetzanlage für Bootswanderer.

Der Reiz der rauen Brise

Noch einige Kilometer danach kreisen meine Gedanken auf der bleigrauen Weser um die herzlichen und unherzlichen Menschen, die wir in diesen Tagen erleben durften. Gibt es ein Nord-Süd-Gefälle in der Auffassung von menschlichem Entgegenkommen, oder handelt es sich um nonverbale Missverständnisse?
Da richtet sich meine Aufmerksamkeit wieder auf ein äußerliches Phänomen. Nicht nur dass nach dem Kanal auf der Weser sofort wieder der neue Stau spürbar wird, nun strömt uns das Wasser streckenweise sogar leicht entgegen! Wir sind viel zu weit weg vom Tidenhub, also muss das andere Gründe haben. Es dürfte an den gegenwärtigen Baumaßnahmen an den Innenbiegungen liegen, Verbreiterungen und Begradigungen sollen offensichtlich noch mehr Platz für die Schifffahrt zum Ausweichen und Manövrieren schaffen. Die Eingriffe in den Flusslauf widersprechen jedoch der natürlichen Mäandrierung des Stromes, anstatt frei ab zu fließen bilden sich jetzt in Ufernähe Bereiche mit träge fließendem Kehrwasser. Die Geschwindigkeit dieser Strömungen ist für Paddler zwar nicht relevant, für die Schifffahrt schon gar nicht, aber es zeugt von einseitiger, stumpfer Ingenieursleistung, die im Getriebe von Wirtschaft und Profit der gesunden Seele einer Region den letzten Rest gibt.

Die Schlepperei, Kälte und Frustration in Dörverden haben uns Kraft gekostet, die wir die letzten 5 Kilometer stromauf zum Kanuklub in Verden an der Aller so gut gebraucht hätten, um den sonnigen Abend und das klare Wasser zu genießen, das uns wie aus einer besseren Welt entgegen strömt. Es fehlt uns jetzt die Energie welche uns das Mittelweser-Flussraum-Vergewaltigungsdrama entzogen hatte.
In Verden, einen Kilometer vor dem Ziel, streiten wir uns auch noch. Es ist als kommt der graue Frust des Tages aus uns heraus. Ich lasse das Kanu ins Ufer laufen, steige aus. Es reicht. Ich gehe ein paar Schritte und fauche meinen Zorn über die einsamen Wiesen und Felder. Alles scheint zur sinnentleerten Schinderei für meine kleine Familie geworden zu sein, so war das nicht geplant. Das Wetter, die sinnlose Bootsschlepperei, unherzliche Leute. Ich bin strapaziöse Touren von Kind auf gewohnt, aber meine Mitreisenden nicht, sie haben für diese Art von Aktivurlaub kein Verständnis mehr. 




Verden an der Aller

Natürlich hat es keinen Sinn, hier im Grünen aufzuhören. Wir müssen den letzten Kilometer durch Verden zum Kanuklub, dort können wir die Tour abbrechen. Doch bis zur Anlegestelle ist ein guter Teil der Missstimmung verflogen, barfuß im flachen Wasser stehend nehmen wir uns Zeit für ein klärendes Gespräch. Wir hören uns gegenseitig zu, sehen persönliche Fehler ein, lassen die Egos schmelzen. Wir hätten in Hoya einen Ruhetag einlegen können, besseres Wetter abwarten, warum hatten wir das nicht eher besprochen? Die positive Grundstimmung kehrt nach und nach zurück. Wir haben es geschafft. 


Doch leider gibt es keinen erfrischenden Empfang für uns Weserpaddler, von "Trompeten, Konfetti oder Ehrenspalieren" ganz zu schweigen. Biertrinkend und kauend richten die Restaurantgäste ihre gelangweilten Blicke durch uns hindurch. Mein verlegener Gruß wird nicht erwidert.  An der Theke sehe ich, dass die junge Wirtin hochschwanger ist und der Wirt als werdender Papa seine Rolle als Ernährer besonders gewinnorientiert gestaltet. Anmeldeformular, Preisliste, zackzack, eine Nacht macht soundsoviel auf den Cent, Schlüssel dies und das, dort das Klo dahin das Zelt. Unsere aufgewühlten Paddlerseelen nimmt der Wirt nicht zur Kenntnis.
Ach was, zahlen und abnicken, Hauptsache eine Dusche und das Zelt darf weit genug vom Restaurantbetrieb am anderen Ende der noch freien Wiese aufgestellt werden. Der WSU-Verden zeigt sich als End- und Labestation der Allertouristen. Ein Blick zum Parkplatz belegt, dass hier die meisten Boote auf dem Autodach landen und dort für den Rest des Aufenthaltes bleiben.

Zeltwiese beim WSU-Verden mit Blick auf die Aller
 
Kaum steht unsere Tinde klatschen Zeltsäcke dicht daneben auf die Wiese, Planen und Zeltböden werden um uns ausgebreitet, obwohl dahinter ein halber Hektar Wiese frei ist. Wir sind nicht die ersten, die beobachten, dass spezielle Leute den Drang haben, möglichst dicht an anderen zu zelten. 

Altstadt von Verden

Das ist ein guter Moment, um sich in die Stadt zu verziehen. Wieder drücken wir uns am Uferweg durch Gruppen von Jugendlichen, die mehr oder weniger intensiv dem Alkoholgenuss frönen. Nach einem ausgedehnten Rundgang in der Stadt finden wir eine Pizzeria, wo uns die ausgezeichnete Küche und eine nette Bedienung in schönem Ambiente von allen Strapazen entschädigt.
Freundlich oder unfreundlich - hilfsbereit oder rücksichtslos, das sind subjektive Einschätzungen. Im Schlafsack darf ich mich während der Nachtruhe mit einem endlos dahinziehenden Gedankenaustausches zweier Freundinnen beschäftigen, die im Nachbarzelt dicht neben meinem Ohr hemmungslos quatschen. Sie tauschen ganz aufgekratzt sämtliche Herzergüsse aus, während ich ein stilles Kämmerchen für den erholsamen Schlaf in meinem Inneren suche, bis endlich die redseligen Gören aus dem Bewusstsein gedimt werden ...


Kanuklub Verden


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