Fulda - Weser und Loire

Samstag, 16. Juli 2011

Von Verden bis Bremen


Aller und Weser 16. Tag

Vor der Abfahrt in Verden an der Aller
Wir freuen uns über den sonnigen Morgen in Verden, und auf die letzten 40 km bis Bremen, das Finale unserer Tour. Die Kraft ist an diesem Tag wie in jugendlichen Jahren spürbar. Trotz der vergangenen widrigen Tage und den eher pessimistischen Wettervorhersagen könnte ich noch mindestens 2 Wochen so weiter paddeln. Es reizt auch der Gedanke mit der fallenden Tide bis in die Nordsee zu fahren, aber mit dem offenen Familienkanadier wären wir unter schwierigen Bedingungen nicht ausreichend seetüchtig.
Die Aller zeigt sich sehr schön an diesem Vormittag und die Strömung macht den angenehmen Start perfekt. Doch leider währen diese paradiesischen Paddlerbedingungen nur 5 Kilometer,


Bootsschleppe mit schwerem Gleiswagen in Langwedel

 
denn bald sind wir wieder in der gestauten Weser bei km 326,4, wir weichen einem Schiff aus und sehen vor uns schon die Wehranlage Langwedel km 327,7. Vorgewarnt durch einen Eintrag im DKV- Flussführer inspizieren wir die Umsetzungsanlage aus dem Jahr 1957, die mit dem urtümlichen Bootswagen und einem Betontunnel durch die Staumauer an ein Bergwerk erinnert

Der Gleiswagen allein hat das mehrfache Gewicht unseres voll beladenen Kanadiers. Das Boot ist nur zu zweit aus dem Wasser zu bringen.
Ein offensichtlich mehrere Hundert Kilo schweres Stahlungetüm von Boots-Gleiswagen muss mit Eisenketten 300 Meter weit gezogen werden, was erst ab zwei verfügbaren Personen ratsam ist. Die hohen Gleisschwellen und der die Rampe versperrende Gleiswagen verhindern eine rasche Verwendung des eigenen Bootswagens.

In einer aktiv gelebten Mischung von Bergabau und Wassersport erreichen wir den stollenartigen Durchlass an der Kraftwerksmauer.

Das Ungetüm ist wahrscheinlich für schwere Ruder- oder Segelboote bzw. motorisierte  Sportboote ausgelegt worden. Das Gewicht fungiert sicher auch als Diebstahlschutz. Zusätzlich wirken etliche meterlange Eisenketten bremsend, die ohne ziehendes Personal hinter dem Wagen nutzlos über den Beton rasseln.

Wir nehmen das Kettengerassel 300 Meter lang mit Humor und lassen uns vom Junior im Tunnel fotografieren.

Nach dem Kraftwerk tauchen vereinzelt Motorboote auf. Über der fernen Nordsee scheinen immer mehr dunkle Wolken zu hängen, welche bei kräftigem Wind das labile Hoch über uns verdrängen. Eine graue Wand hängt im Nordwesten wie eine permanente Unwetterwarnung vor unserer Nase, die noch vorhandene Sonne sticht wie vor einem Gewitter. 
Bei solchen meteorologischen Vorzeichen wollen wir besser schnell ans Ziel kommen, daher lassen wir schweren Herzens viele einladende Strände aus, passieren ruhige Campingplätze mit ihren Caravans und Motorjachten und achten penibel darauf, den Schiffen und Motorbooten rechtzeitig auszuweichen. Bevor der nächste Staubereich und damit die kontinuierliche Paddelarbeit beginnt, machen wir noch eine kurze Rast am Ufer einer Viehweide und packen unseren Proviant aus. 

Schöne Reitpferde führen hier ein relativ freies Leben.

Wir sind gerade rechtzeitig aus dem Wasser gekommen, denn vor uns beginnt sich das Drama einer Flussraumvergewaltigung abzuspielen. In einer heulenden Lärmkulisse brausen hagestolze Motorjachtbesitzer heran, die das Flussbett für ihre Wettrennen missbrauchen, riskante Schleifen fahren, sich aggressiv abdrängen, Kollisionen herausfordern, als wollten sie sich gegenseitig versenken. Diese "Wassersportler" platzen beinahe vor Imponiergehabe und aggressiven Emotionen. Wir bekommen es mit der Angst zu tun. Der Fluss wird durch diese Rowdys zum gesetzlosen Raum degradiert! Ich muss meine Familie ernsthaft beruhigen, obwohl auch mir dämmert, dass an eine unbeschwerte Weiterfahrt kaum mehr zu denken ist. Es handelt sich um kopflose Raser,  ausgesprochen aggressiv und unberechenbar. 
Wir wollen jedoch weiter und halten uns so knapp es sinnvoll scheint am Ufer und werfen jedesmal erleichtert einen Dankesgruß zu, wenn ab und zu ein korrekter Freizeitkapitän auf unserer Höhe seine Geschwindigkeit drosselt. Mit einem voll beladenen offenen Boot machen Wasserschwälle nicht so viel Spaß, aber die kurzen unangenehmen Wellen wären nicht das größte Problem. Es dürften nicht wenige Motorbootfahrer eine Befriedigung darin finden, so dicht wie möglich an Paddlern vorbei zu rasen, um dann zurückgaffend sich daran zu ergötzen, wie eine Bootsbesatzung sich fürchtet und hilflos in den Wellen schaukelt. Dabei ist der schrecklichste Moment jener, wenn so ein Motorboot in voller Fahrt direkt auf einen zu rast.  Man weiß nicht, ob der Bootslenker gerade nach vorne schaut, ob er vielleicht betrunken oder sonst wie beeinträchtigt ist. Seit Jahrzehnten beobachte ich diesen Tick der Motorbootfahrer, ein kleines Sportboot schon als entferntes Objekt bei voller Fahrt direkt anzupeilen und erst in kurzer Distanz vom Kollisionskurs abzuschwenken. Dieses Verhalten ist unglaublich lästig und nötigend, da oft  keine andere Möglichkeit bleibt, als das Boot dicht am Ufer zu halten, selbst wenn die Fahrtrinne mehrere Hundert Meter breit ist.

Ein "Wasserski-Showdown" voll Waghalsigkeit und Rüpelhaftigkeit auf der Weser

 
Auf dem Weserabschnitt zwischen ~ km 350 bis 360 bekommen wir dann so etwas wie den Terror der Wasseski-Rodeos zu spüren. Für uns als naturverbundene Paddler, welche die Ruhe am Fluss suchen, ist das Geschehen ein Alptraum. Völlig plan- und rücksichtslos kurven bei km 359 vor dem Motorjachtklub "Marina Oberweser" etliche Motorjachten mit Wasserskifahrer mit Höchstgeschwindigkeit auf engem Raum herum und bereits von Weitem beobachten wir, wie unbeteiligte Wasserfahrzeuge, darunter ein hilflos schwankendes Segelboot, angesteuert und geschnitten werden. Es wäre lebensgefährlich, jetzt in die Strommitte hinaus zu paddeln. Wir versuche, dicht am rechten Ufer an den Rowdys vorbei zu kommen. Trotzdem werden wir zum Spielzeug einer gemeingefährlichen Wasserski-Clique. Ein Motorboot rast im spitzen Winkel zum Ufer hinter uns heran und schwenkt so spät ab, dass meine Frau vor Angst aufschreit. Man hat offensichtlich vor, uns einen Schrecken einzujagen. Ich beschließe, den nächsten Wasserski-Terroristen zu fotografieren, das kann doch nicht rechtens sein! Meine Frau schreit wieder, als von hinten ein Wasserskifahrer demonstrativ mit einer Hand am Bügel direkt auf uns zukommend über die Wellen springt und  ca. 10 Meter hinter uns scharf abschwingt.  Mein Sohn hat am Ufer beigedreht und schreit in den Lärm, ob ich verrückt sei, weil ich jetzt ans Fotografieren denke. Frau und Kind flehen mich an, ich soll doch etwas tun und nicht fotografieren. Das Foto ist zudem nichts geworden, da ich nebenbei das Kanu auf Kurs halten und trocken durch die Wellen bringen muss. Jedoch - ausweichen kann man in dieser Situation sowieso nicht mehr, ein Foto wäre wenigstens ein Beweis für die Strompolizei! Und schon kommt der nächste – von vorne. Um meine Frau nicht zusätzlich zu verängstigen, unterlasse ich das Fotografieren. Diese netten Wasserskileute steuern uns jetzt scheinbar alle direkt an, ich lehne mich aus dem Kanu und halte das Paddel gut sichtbar im rechten Winkel vom Kanu weg weg, um mehr Distanz zu erzwingen. Die Typen bleiben ungeachtet unserer verzweifelten Gesten auf Kollisionskurs. Wir befinden uns auf Höhe des Motorjachtklubs "Marina Oberweser", wo das Spektakel am Fluss von einem kleinen Publikum am Ufer begafft wird. Unser Gestikulieren und Schreien fruchtet nichts, in nur mehr 5 Meter Distanz rast der nächste Wasserskifahrer mit voller Geschwindigkeit grinsend vorbei. Wow, was für eine Mutprobe, Paddler erschrecken.

Eines der Motorboote in Folge, welches in voller Fahrt direkt auf uns zusteuerte. Erst demonstratives "Fotografieren" hält die Rowdys auf Distanz.

Ich bringe den Kanadier durch die spitzen Wellen, da kommt schon der nächste auf uns zu. Es ist der reinste Terror! Ich überhöre die angstvollen Proteste meiner Familie, lege das Paddel weg, richte mich hoch auf und halte die Kamera weit über den Kopf und siehe da, es wirkt – die Typen drehen sofort ab!
Der eine oder andere scheint es noch auf uns abgesehen zu haben, aber jedesmal halte ich die Kamera deutlich über den Kopf und schon dreht das Motorboot in einiger Entfernung ab. Ein "Foto" dürfte also abschreckende Wirkung haben! Die Kamera griffbereit auf den Knien paddle ich weiter, vor der Belästigung fühlen wir uns jedoch erst sicher, nachdem wir am Ende der Wasserskistrecke in den Hafenbereich von Bremen einfahren.
So eine aggressive Bedrängung durch Motorboote und Wasserskifahrer habe ich in all den Jahren am Wasser noch nie erlebt!  Es steht die Frage im Raum, ob hier solche Missstände einfach toleriert werden, oder ob dafür jemand zur Verantwortung gezogen werden sollte.   


Die Gefahr, welche von Motorbootrasern im Wesergebiet vor Bremen ausgeht, empfinden wir aus Sicht der Wanderbootfahrer als ein Unfähigkeitszeugnis der Strompolizei.

Wir verdauen unseren Schock vor der Schleuse der Weserwehr Bremen-Hemelingen km 362,2. Wie zum Hohn lässt sich  gerade jetzt ein biederes Motorboot der Strompolizei in aller Ruhe nach oben schleusen. Zwei Beamte scherzen gemütlich mit dem Schleusenwärter und verwenden das Übermaß an Zeit, in der Idylle der Schleusenkammer immer wieder am Einsatzfahrzeug herum zu wischen. Meine Frau klagt, warum ich die Sache nicht bei denen anzeige, aber erstens haben wir nun kein Beweisfoto, zweitens brauche ich im Urlaub nicht unbedingt polizeiliche Formalitäten. Außerdem - diese Beamten wirken derartig träge und tollpatschig, ich kann mir nicht vorstellen, das die einen von den akrobatischen Motorbootterroristen erwischen. Es sieht dort eher nach Wischen statt Erwischen aus.
Das Schleusentor steht offen, noch liegt das Polizeiboot fest vertäut in der Kammer. Stoisch warten die Polizisten und gezwungenermaßen auch wir, bis die Ampel ganz Grün ist, ein paar mal Wischen geht sich noch aus. Die strenge Amtsmine ist schließlich der Indikator, dass etwas geschieht, der Motor beginnt zu gurgelen und die Streife tuckert gemächlich Richtung Kriegsgebiet stromauf. Kein Zweifel, bei solch lethargischer Vorgangsweise bleibt die informelle Flusshoheit im Besitz der Rowdies. Aber das ist jetzt ihr Problem. 
 
Wir sind durch, dieses Kapital ist abgehakt und wir schleusen uns auf Meeresniveau. Ab jetzt bestimmen die Tiden Wasserstand und Strömung. Im Moment ist Ebbe und wir sehen am Ufer, dass bei Flut das Wasser gut 3 Meter höher steht. Wir haben unser Ziel erreicht! Entspannt nähern wir uns der Anlegestelle des Bremer Kanu-Wanderer e.V. km 363,7 wo das letzte Anlegemanöver dieser Tour gemacht wird. 40 Kilometer sind nicht die Welt, aber für diesen Tag haben wir genug.

Zusammen mit einer wilden Flussratte und einem Kaninchen sitzen wir auf dem Klubgelände in der Falle.
Warum sind wir gerade hier angelandet? Die Kanustation Bremer Kanu-Wanderer e.V. hat eine einladende Webseite, die uns bewogen hat, den Klub als Endpunkt und zur Autorückholung zu wählen.
"...Paddler sind uns jederzeit willkommen, ob DKV Mitglied oder nicht.
... Für Besucher, die mit der Strömung kommen: Etwa einen Kilometer nach der Hemelinger Schleuse/Weserwehr befindet sich am rechten Weserufer unser Kanuverein, deutlich sichtbar durch das große weiße BKW-Schild am Ufer, ... Oben angekommen, nimmt Sie der hoffentlich anwesende Bootshausdienst in Empfang. Für Besucher, die die Flut angespült hat, gilt alles genauso, nur andersrum...

Es mag ja alles recht nett sein, aber wir laufen schon eine halbe Stunde auf dem Klubgelände hin und her, kein Bootshausdienst weit und breit, unter der von der Homepage verfügbaren Telefonnummer ist niemand erreichbar. Das Klubhaus ist natürlich versperrt, die Fenster mit Gitterstäben wirken wie länger verschlossen. Ein am Gelände befindliches Sanitärhaus* im Zustand der Renovierung ist unbenutzbar. Aus einem Wasserhahn kommt rötlich-braunes Wasser, ein Schild „Kein Trinkwasser“ warnt vor der Verwendung. Dazu kommt ein hoher Metallzaun zur Straße, wodurch wir das Gelände landseitig nicht verlassen können. So trist haben wir uns den Abschluss nicht vorgestellt. Wenn tatsächlich niemand kommt, müssten wir wieder hochschleusen und zu einem Wassersportverein stromauf zurück paddeln.
Vielleicht wieder an den Motorbooten vorbei? Kommt nicht in Frage.
Durch die Stäbe des Metallzauns sehe ich einen Kasten. Vielleicht sind da mehr Infos drauf, weitere Telefonnummern? Ich warte einige Zeit, dass jemand vorbeikommt, damit man fragen kann, ob da etwas steht. Stumpf stehe ich da, natürlich kommt gerade jetzt niemand des Weges.


Es rettet uns ein Folder mit Kontaktdaten, den wir von innen aus dem Kästchen fischen.


Dann schalte ich wieder mein Gehirn ein, nehme das Handy, stecke die Hand durch die Metallstäbe und mache auf gut Glück Fotos von der Vorderseite. Ah, da stecken Folder drin! Schon habe ich einen heraus gefischt und da sind noch weitere Telefonnummern und Kontaktadressen!
Beim vierten, fünften Anruf erreichen wir schließlich jemanden. Es meldet sich eine sehr lethargische Persönlichkeit. "Bootshauswart nein, ... alle..sind..weg ... nein ... niemand..kommt ... vielleicht - das ist nicht sicher ..-.. kommt morgen jemand. Das Toilettenhaus...ist doch offen..nicht wahr?"
Ja es ist offen, denn es hat keine Tür, keine Fliesen, keine Armaturen, kein Wasser, eine Baustelle. Was soll man da machen - ja er versucht noch jemanden zu erreichen …
Wir warten und probieren währenddessen weitere Nummern. Ich spreche auf Mailboxen.
Gut, stellen wir einmal das Zelt auf, wir haben einfach keine Lust mehr etwas anderes zu suchen, wir bleiben einfach da. Ich inspiziere die Baustelle, suche und finde eine Leiter. Wir arbeiten einen Notfallplan aus, wie wir aus dem Gelände klettern könnten, um das Auto zu holen. Unsere Sachen, das Boot bekommen wir schon irgendwie über den Zaun.
Endlich, es kommt jemand! Eine freundliche Frau öffnet uns das Klubheim. Wir haben Glück sagt sie, sie hat zufällig frei. Nun zeigt sie uns die weitläufigen Räume, die Küche, die neuen sanitären Anlagen im Klubhaus. Erklärt uns den Weg zum Bahnhof, zum Supermarkt, leiht uns einen Stadtplan. Jetzt sieht die Lage bereits viel besser aus!


*Stand Juli 2011. Die Renovierung dürfte mittlerweile abgeschlossen sein. Für Gäste stehen lt. Webseite in einem neuen Anbau Toilettenanlagen und eine Gästeküche zur Verfügung.

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