Fulda - Weser und Loire

Samstag, 13. Juli 2013

Von Les Ponts-de-Cé ins Herz von Anjou

Das Wetter ist ein einziges, stabiles Hitzehoch über Europa, ein leicht rötlicher Dunst lässt auf  Saharastaub schließen. Wir brechen am späten Vormittag auf und haben die spontane Idee, die wenigen Kilometer bis nach Angers die Maine hinauf zu paddeln.
 Dazu biegen wir bei Kilometer 868  rechts in die Mündung der Maine ein. Die Strömung erscheint nicht allzu stark.  Bald erreichen wir die Hängebrücke von Bouchemaine und begutachten vom Wasser aus den Campingplatz links am Ufer, den wir bei der Rückfahrt ansteuern wollen. Kleine Schwärme von Leihkajaks und -Kanadier paddeln auf dem Weg ins Wochenende zum Loiretal hinunter. Am Ufer warten einige Verleiher von Plastikbooten auf weitere Kundschaft. 8 Kilometer gegen die Strömung sollen es bis Angers sein, auch mit vollem Gepäck schaffen wir das ohne Probleme. Bald sind wir wieder allein in der Landschaft und  genießen die frische Atmosphäre des kleineren Flusslaufes zwischen bewaldeten Hügeln mit felsigen Flanken. Es gibt noch Anzeichen des letzten Hochwassers, die Innenufer sind verschlammt, Uferbäume voll Schwemmholz, die Vegetation mit den charakteristischen waagrechten Schlammmarken. Auch das Wasser wirkt trübe wie nach Regenfällen. Die Strömung wird ein wenig dynamischer, wir halten uns knapp am Ufer. In der Hälfte des Weges erreichen wir das markante Gebäude eines alten Konvents auf einem Felsen, daneben ankern alte Frachtkähne, Anzeichen einer latent existierenden Schifffahrt. Die langsame Annäherung spornt unsere Neugier auf die Stadt erst richtig an, in der Ferne sehen wir schon Brücken, einige komische Tafeln und ... eine Wehr.
Hm, man hat sich tatsächlich die Mühe gemacht, die Maine auf 10 (!) cm aufzustauen und mit einer kompletten Schleusenanlage zu versehen. Hinweis und Verbotstafeln dirigieren Sportboote auf eine Umtragungsroute von mehreren Hundert Metern, mit praktisch unpassierbarem Ausstieg, Schlamm mit Geröll vermengt. Ich laufe in der Hitze auf und ab und suche nach einer besseren Stelle, wo wir das volle Boot ohne umständliches Entladen hinauf bekommen. Da kommt ein kleines Passagierschiff von unten! Wir lassen die untragbare Umtragestelle und zwängen uns frech hinter dem Dampfer in die Schleuse.  Sie lassen uns tatsächlich mit hinein, die Bordcrew gibt mit einigen Gesten Anweisungen, einen gewissen Sicherheitsabstand zum Schiff einzuhalten.

Vor uns liegt das historische Zentrum Angers welches unter dem blauen Himmel glänzt. Die wuchtigen Zylinder der Stadtmauer aus Tuffgestein und Schiefer beherrschen zusammen mit dem Château du Roi René das linke Ufer (stromab gesehen) der Altstadt. Darunter ziert ein vielleicht 200 Meter langes zeitgenössisches Fries die Kaimauer, dessen chaotisch-fantastischen Motive auf Holzplatten eine Anlehnung an die berühmten Wandteppiche der Apokalypse sein könnten. Danach bestimmt die Kathedrale von Angers die Skyline, während rechter Hand der kleine Hafen, die Restaurant- und Kasinoschiffe, das Getriebe auf den Promenaden und der Fischer unter der Pont de Verdun die Stimmung an der Maine ausmachen, ein Fluss, der bald oberhalb der Stadt seinen Beginn hat, denn dort vereinigen sich Mayenne und Sarthe an der Insel Saint-Aubin, einem landwirtschaftlich genutzten Naherholungsgebiet. Im südlichen Teil der Stadt, am Lac de Maine gibt es einen **** Campingplatz als Option für jene, die hier einige Tage investieren wollen. Dort erstreckt sich an der Maine eine weitläufige aber noch leere Flussarena, die bei unserem Eintreffen von riesigen Lautsprechern mit Popmusik beschallt wird. In der Flussmitte befinden sich Bontone mit Feuerwerkskörpern, startbereit für die Revolutionsfeierlichkeiten heute Abend.
 Am Rückweg haben wir wieder Glück mit der Wehr. Der Schleusenwart, ein netter junger Kerl, lässt mit sich reden und spendiert uns eine Extraschleusung. Der Tag ist somit gerettet.

Nach der reichhaltigen Architektur von Angers wirkt das Alte Konvent von Baumette auf seinem markanten Felsen nicht weniger reizvoll. Der Strand davor ist so einladend, es ist unmöglich, einfach daran vorbei zu fahren.
In die Felsen am Ufer wurde vor langer Zeit eine Stiege geschlagen, um die Stelle passierbar zu machen. Die Stufen haben sich im jahrhundertelangen Gebrauch zu sanften Mulden ausgeschliffen. Die burgenhafte Front des Gebäudes aus hiesigem Naturstein ist von dichten Ranken überwachsen, die uralten Fenster verraten nicht, inwieweit im Inneren das Leben bereits verloschen ist, über allem liegt eine märchenhafte, verwunschene Stille. Am Scheitel der Stiege befindet sich eine merkwürdige Inschrift "Qui à fait faire de degré? C'est le bonhomme PANNETIER dites pour lui pater ave 1599. Cette inscription enlever en 1909. À été établie par les soins de la municipalité & de la Société d'Agriculture Sciences & Art d' Angers en 1911.
Auf der anderen Seite haben ein paar Jugendliche ihre Autos am Strand geparkt, albern in der Hitze herum, zwei Mädchen schmusen genüsslich im Wasser. Von dort führt ein in den Felsen geschlagener, ebenfalls von Millionen Fußtritten ausgeschliffener Hohlweg der mit tausenden Glasscherben übersät ist zum verwaisten Plateau mit Parkplatz hinauf, eine echte Herausforderung für meinen barfüßigen Pilgerweg. Das Fronttor präsentiert sich leider als informationslos geschlossen.  
Kurz vor unserem Ziel legen wir nochmals für ein kleines Picknick an einem schattigen Uferfelsen an. Kaum haben wir es uns gemütlich gemacht, braust eine Motorjacht mit voller Fahrt den kleinen Fluss hinauf. Mit der Lärmbelästigung kommen rasch die kurzen hohen Wellen angewandert, es wird knapp. Hektisch bringen wir unseren ausgebreiteten Proviant in  Sicherheit, dann springe ich zum Boot und kann es im letzten Moment von den scharfen Felskanten weghalten. Es ist einmal mehr eine anschauliche Situation für die Rücksichtslosigkeit gewisser Möchtegern-Kapitäne. Wobei hier festgehalten werden muss, dass es sich bei diesem Rowdy offensichtlich um eine krasse Ausnahme handeln musste. Die Motorbootfahrer und Wasserskifahrer auf der Loire hatten bislang bei Paddlern immer das Gas zurück genommen oder zumindest ausreichend Abstand gehalten. 
Gemächlich legen wir die letzten Kilometer zurück, weit vor uns sehe ich ein kleines Grüppchen mit Leihbooten  in der letzten Biegung verschwinden. Auch unter der Eisenbahnbrücke sehen wir die grellen Boote, die Jugendlichen machen wohl erste Erfahrungen, paddeln linkisch hin und her, jauchzen vergnügt unter den Steinbögen, spielen mit dem Echo. Wir probieren es auch gleich mal.
Ein Paddler-Club trainiert mit mehreren 4er-Teams, ein Trainer im Motorboot gibt energisch Anweisungen. Sie ziehen mit viel Einsatz an uns vorbei. Wir gleiten hingegen gemächlich an den voll besetzten Uferrestaurants von Bouchemaine vorüber und bemerken dann an der Hängebrücke sofort, dass etwas Tragisches passiert sein musste.  Einsatzwagen stoßen gerade zum Ufer vor, Gruppen von Schaulustigen stehen am Radweg und auf der Brücke. Boote der Feuerwehr werden neben uns ins Wasser gelassen, die Teams des Paddel-Clubs und einige private Motorbootfahrer kurven bereits zwischen den Pfeilern herum und sammeln Bestandteile einer Ausrüstung zusammen, rufen sich etwas zu. Eine Gruppe junger Leute mit Kindern steht zwischen den Einsatzwagen, umringt von uniformierten Einsatzkräften, sie werden gerade befragt, verzweifelt deuten sie aufs Wasser. Vor ihnen liegen die typischen Kajaks eines Verleihers. Kein Zweifel, hier ist soeben jemand ertrunken.
Ich sehe mir die Lage an, komme aber zu dem Schluss, dass es für uns keine Möglichkeit gibt, hier helfend einzugreifen. Wir stellen also unser Zelt auf, das Geschehen vor unserer Nase. Tauchmannschaften suchen systematisch den Grund ab, markieren diverse Stellen mit Bojen. Polizisten gehen das Ufer ab. Einheimische suchen den Flusslauf bis zur Mündung in die Loire ab. Diese Suche kann noch Stunden dauern.


Einstweilen versuchen wir uns auf dem Campingplatz zurecht zu finden, der keine Rezeption hat, was anfänglich gewöhnungsbedürftig ist . Es es eher ein komfortabler Standplatz für Camper, am Schranken muss man mit Karte zahlen, bekommt dafür ein Ticket mit Code für Dusche und Warmwasser. Der Preis ist mit 5 € pro 2 Personen und Nacht äußerst günstig. Zwei nette Schweizer Radfahrerinnen haben das System schon durchschaut und erleichtern uns mit einigen Tipps die Orientierung. Über den Unfall am Fluss können sie nur sagen, dass es sich laut Gerüchten um einen Mann im Kajak handeln solle, der aus irgend einem Grund ins Wasser gestürzt sei, offensichtlich keine Schwimmweste getragen habe und wahrscheinlich auch nicht schwimmen konnte. Bei den Personen am Ufer könnte es sich um Angehörige oder Freunde handeln. Sie werden immer noch von den Uniformierten befragt und betreut. Schnellboote der Feuerwehr rasen nun die Unfallstelle auf und ab. Man will damit wohl bezwecken dass sich durch Wasserbewegung der Körper vom Grund löst. 

Wir machen einen Rundgang durch den Ort und kommen zu einem Straßenzug, der von den Einheimischen für die Revolutionsfeierlichkeiten abgesperrt wurde. Die gesamte Nachbarschaft scheint versammelt zu sein, bereits jetzt geht es hoch her. 
Es wird Abend und bis zum Einbruch der Dunkelheit geht die Suche nach dem Vermissten weiter. Noch immer stehen einige Schaulustige am Ufer und sehen den Taucherteams zu, welche nun mit Lampen im nachtschwarzen Wasser den Grund absuchen. Entfernter Donner und der farbige Schimmer der Feuerwerke leiten die offiziellen Revolutionsfeierlichkeiten im Bezirk Anjou ein.

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