Fulda - Weser und Loire

Freitag, 12. Juli 2013

Ein Tag in Les Ponts-de-Cé

Um etwas mehr von Land und Leuten zu sehen legen wir einen Ruhetag in Les Ponts-de-Cé ein. Die Stadt wird von Kanälen geteilt und durch Brücken verbunden. Manche Gräben dürften früher mehr Wasser geführt haben, die Ile du Chateau mit dem angrenzenden Campingplatz steht mittlerweile auf dem Trockenen.

Wir freuen uns auf Besichtigung der Residenz von König René, ein kleines Schloss aus dem 15. Jahrhundert, von dem es liebliche Darstellungen gibt, wo es noch von Wasser umgeben war. Aber es hat Vormittags zu.
Somit laufen wir über die Brücken in die Stadt, um uns  erst einmal umzusehen und bei Gelegenheit die Verpflegung zu ergänzen. Dabei stoßen wir auf die Église Saint-Aubin deren Gotik auf einem über 1000-jährigen Fundament steht. Im Inneren überrascht eine Wandmalerei, vermutlich romanischen Ursprungs, eine Kreuztragung Christi, an der am überlangen Kreuz der damalige Ritteradel tatkräftig mitwirkt.

Am Nachmittag pilgern wir zum Schloss und tauchen in dieses eigenwillige Bauwerk  ein, welches vor allem eine Stickhaubensammlung in sich birgt. Man hatte sich bemüht, diese enge Thematik mit einem Heimatmuseum zu erweitern, welches einen netten Einblick in die biedere Lebenskunst der französischen Vergangenheit ermöglicht, beginnend mit alten Boule-Kugeln aus Holz, Weinetiketten, Sortements von Gewürzen und Kräutern in der regionalen Küche, Literatur, Theater, Fischfang, Geologie und historische Landschaften, Portraits, Windmühlen, Schmuck, Babykleidung und Heiratskronen.
Es folgen einige Skizzen.



Boule-Kugeln und eine alte Windmühle
 Es erübrigt sich zu sagen, dass die Franzosen mit extremer Hingabe Boule spielen. Der Aufbau und die Handhabung der Kugeln ist eine mit Magie durchsetzte Wissenschaft. Die Urform dieser Kugeln ist mitnichten rund.



An Bergkuppen lassen sich immer noch die eigenartigen Fundamente der hölzernen Windmühlen finden. Original erhaltene sind natürlich sehr selten geworden, an einigen Stellen jedoch von der Loire aus sichtbar gewesen.



Fischfang-Studie nach einer alten Postkarte
Vor eingen Tagen hatten wir von einem Strand aus zwei Fischern bei der Arbeit zugeschaut. Abgesehen von Außenborder und Netz war ihr Stil und die Arbeitsteilung im Grunde im selben Schema wie auf der nebenstehenden Skizze.

LiebhaberInnen von Stickhauben sind hier im siebenten Himmel. Selbst für jemanden der sich nie für dieses Thema interessiert hat, ist diese Sammlung eindrucksvoll. Neben dem großem Arbeitsaufwand, solche Hauben herzustellen, wird das Hierarchieverständnis der Trägerinnen lebendig gemacht und die vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten an Formen und Mustern. In ihnen drücken sich individuelle Bedürfnisse und Entfaltungsmöglichkeiten aus, in einer Welt, die Emanzipation im heutigen Sinn nicht kannte. Interessant auch die beiläufig mitgelieferten Darstellungen der Betreuung von Kindern besser gestellter Eltern.

Nicht erst beim Verlassen des Museums verwundert immer wieder das rustikale Bild von Booten, Ufern, Brücken, Gassen, als wäre für manche Orte die Zeit wesentlich langsamer vergangen. Wenn in Frankreich etwas neu gebaut wird, heißt das nicht unbedingt, dass das Alte niedergerissen wird. Oft bleibt es einfach stehen, verfällt, oder das Neue wird äußerst sparsam und unauffällig in die alte Bausubstanz integriert. Das milde Klima begünstigt eine luftigere Bauweise und verhindert ein rasches Zermürben der Architektur. Alte Bausubstanz aus regionalem Tuff, Schiefer, Schamott und Holz bleibt dadurch über Jahrhunderte bewohnbar.

Ebenso ist auf den Campingplätzen ein Vintage-Trend zu beobachten. Mancher Jungspund pflanzt auf den feinen Rasen ein Uralt-Leinenzelt (vom Opa oder aus dem Internet?), Oldtimer sind auch bei Zugfahrzeugen oder Wohnwagen vertreten. Die Familie gegenüber lagert mit einer lebendigen Kinderschar um ein Wohnwagenei aus dem Jahre Schnee. Was es nicht an Platz bietet, wurde an Appartements dazu gemietet.
Wir packen unsere Feuerschale mit dem rasenschonenden Untersatz aus, ich sammle ein paar dürre Äste von den dicken Bäumen und wir wagen es, ein dezentes Feuerchen zu machen, um Pizzareste von gestern heiß zu machen.
Niemand regt sich auf, die Rauchschwaden werden tolerant übersehen.

Dann macht mir die Madame von Gegenüber den Gefallen und zieht sich hinter den alten Wohnwagen zurück, setzt sich mit dem Rücken zu uns in einen weißen Plastikstuhl, wirft ihre perfekte Figur in eine malerische Position und beginnt sich genüsslich zu schminken. Schnell versuche ich eine Skizze, aber leider wird sie bald von den Kindern entdeckt und nicht mehr in Ruhe gelassen, bis sie aufsteht und wieder im Trubel ihrer Familie verschwindet.



Ich denke, die kinderreichen Familien der Franzosen bereichern nicht nur die zukünftigen Pensionskassen, sondern bereits jetzt das soziale Leben in Familie und Gesellschaft. Dies ist ein menschlicher Vorsprung, den die Franzosen irgendwann für sich verbuchen können, wenn unsere überalterten Strukturen in Systemkollaps, Vereinsamung und Entfremdung enden.












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