Fulda - Weser und Loire

Montag, 27. Juni 2011

Fürstenberg - Lychen

 
Morgendliche Ruhe am Zeltplatz Röblinsee

Gestern hatte ich ein Spielzeugschiff gefunden und heute scheint nach langer Regenzeit hier in der Region wieder die Sonne von einem strahlend blauen Himmel. Es fängt also gut an. Wir verabreden uns lose mit den Eltern, welche mit morgendlichem Elan das Boot bereits zum Ufer karren, während wir noch mit dem Frühstück beschäftigt sind.  Es ist Urlaub, wir haben Zeit, aber nicht zu lange, denn die herrlichen Seen warten nicht ewig in dieser jungfräulichen Schönheit.

 
Aufgelassene Fabrik an der Bahnlinie in Fürstenberg

Der zum Wasser ausgerichtete Teil der Architektur hat eine andere Funktion und Aussage als die landeinwärts ausgerichteten Teile. Man kann daran herauslesen, ob ein Ort ein Gewässer einbezieht oder nicht, sich z.B. einem Fluss öffnet, als Verkehrsweg schätzt oder sich davon abschirmt, ihn ignoriert, oder ihn nur als Kanal ausnützt. Bei Seen ist das Verhältnis relaxter, weil sich Seen gewöhnlich friedlicher gebärden als Flüsse, die Grenzen darstellen, Brücken und Dämme erfordern, weil sie gerne Hochwasser führen. Seen eignen sich gut für Tourismus. Die Havel ist durch die großen Wasserflächen in der fast ebenen Landschaft und den handlichen Wehranlagen gutmütigstes Zahmwasser, was sich darin äußert, dass knapp am, über und manchmal im Wasser gebaut werden kann.

 
Der Hinterhof von Fürstenberg ist ein kleines Venedig


In Fürstenberg gibt es zwar eine Schleusenanlage, es hat für Paddler jedoch wenig Sinn, diese zu benützen. Sie wird von einem Schleusenwärter betrieben welcher klarerweise wartet, bis sich die Kammer mit Motorbooten füllt. Es hat keinen Sinn, eine halbe Stunde oder länger zu warten, da es zwei Biegungen weiter den bekannte Kanu-Fisch-Pass gibt, wo Kanus und Kajaks problemlos hinunterrutschen - oder in der anderen Richtung - hinauf gezogen werden können. Gleich darunter hat die Stadt einen Anladeplatz eingerichtet, von dem aus man gut die Stadt und sanitäre Anlagen erreichen kann.


Gedenkstätte Frauen-KZ Ravensbrück
  
Hat man in dieser harmlosen und friedvollen Weise Fürstenberg durchquert, gelangt man in den Schwedtsee und am gegenüberliegenden Ufer prallt die Idylle auf ein Mahnmal, welches auf die dunkelsten Momente der Menschheitsgeschichte hinweist. Die Gedenkstätte Ravensbrück. Gleichgültige Menschen mit graugrauer Fantasie haben es hier sicher leichter. Es brauchte bei uns zwei Jahre Anlaufzeit, um dieses unfassbare Verbrechen als Urlaubseindruck zuzulassen. Mord verjährt bekanntlich nicht, alle Gedanken nach Gerechtigkeit werden von unserem stummen, fragenden Entsetzen verschluckt. Es genügt uns schon der vordere Teil der Anlage, wir wollen nur mit unserer Anwesenheit die unschuldigen Opfer huldigen und wieder verschwinden. Ich mache keine Fotos, keine Zeichnungen. Stumm lassen wir den in Stein gemeisselten Aufschrei unbeugsamer Frauen und deren Nachkommen in uns wirken, bedrückt schlendern wir an den Massengräbern entlang zu unseren Booten zurück.

Auf dem Transparent steht: "(...) die Natur hat alles Leid zuwachsen lassen; ich fand nur noch den Steg wo Siemens die Schiffe an der Havel beladen hat und ein paar Reste vom Sonderblock, den meine Tochter ausgebuddelt hat (...)" 

Nach dem Schrecken der Vergangenheit gleiten wir zurück in das mittägliche Treiben von Joggern, Radtouristen, Motorjachten und Ausflugsschiffen entlang der Havel. Noch wundere ich mich über die futuristischen Trainingsgeräte im rechten Auwald, als in einer kleinen Bucht links ein Transparent in der Sonne leuchtet. Es wirkt wie ein "Privatmonument" als besondere Vergangenheitsaufarbeitung. In den Sumpf gesteckte Tafeln bezeichnen das Gelände als ehemaliges Mädchen-KZ und Vernichtungslager, als Gedenkort ehemaliges KZ Uckermark.  Eine im Laub liegende Metalltafel warnt vor den Gefahren des anschließenden militärischen Übungsgeländes und das ist, was besonders vor den Kopf stößt, dass solcherart belastete Orte gleich danach und noch lange militärischen Zwecken gedient hatten.
Nach ca. 2 km Havel gelangt man mit kaum merkbarer Strömung in den Stolpsee, der groß, aber noch überschaubar ist. Bei sommerlich - idealen Verhältnissen ist die Überquerung ein Kinderspiel und es bietet sich die Option an, den Lauf der Havel zu verlassen und links über die Schleuse Himmelpfort in Richtung Großen Lychensee zu paddeln.

Schleusenanlage Himmelpfort


Nach einem Wassersportklub kommt der Schleusenbereich mit einer Wartestelle für Sportboote und einer Instruktion zur Selbtschleusung. Das Prinzip ist einfach und technisch ausgereift, die Signalanlagen überdeutlich. Ein Monitor zeigt Istzustand und den jeweiligen nächsten Schritt an. Alles wird mit einem simplen Hebel ein- und weitergeleitet. Im Falle von Problemen existiert ein Notstopp.
Nach der Schleuse geht es über den Haussee in die Woblitz bei ganz leichter Gegenströmung und von da in den Großen Lychensee, wo man sich entscheiden muss, rechts oder links von der Insel die Route nach Lychen zu nehmen. Am Ende verengt sich der See und man gelangt nach einer Brücke in den Stadtsee, wo ich anhand eines winzigen Gabel/Messer-Piktogramms auf der Jübermann-Karte das Restaurant linker Hand ausfindig machen will. Was Paddeln betrifft noch relativ untrainiert sind diese 16 Kilometer am Stück durchaus geeignet ordentlichen Hunger und Durst zu erzeugen und zurück sollen wir ja auch noch. An der von mir vermuteten Stelle weist nichts auf ein Restaurant hin, von Gastronomie keine Spur.  Doch das Glück ist uns hold. Es naht eine Ruderin in einer kleinen Jolle, die uns gerne Auskunft gibt, vor dem Damm am Ende des Sees ist das Restaurant.

 Lychen

Der Platz an der Anlegestelle zum Restaurant ist knapp, da soeben drei Personen Kanadier und Ausrüstung über den Damm schleppen.  Wir warten mit unseren leeren Booten, bis sie ihren riesigen Berg an Seesäcken, Kanadiertonnen, Rucksäcken und sonstiges umschichten. Ich frage, wie viele sie denn seien, - na drei, sagt einer und nimmt die nächsten prall gefüllten Seesäcke in Empfang. Was und warum die so viel mitschleppen bleibt ein Rätsel, denn wir halten uns mit weiteren neugierigen Fragen zurück und steuern lieber einen freien Tisch an.

Wenn man schon an einem Tag 700 Kilometer fährt, um am anderen 16 zu paddeln, sollte man - so will es die Familientradition - mit aller Kraft danach trachten, dass das unentbehrliche Straßenfahrzeug während der Tour möglichst stehen gelassen wird. Es geht ja darum, sich mit eigener Kraft fort zu bewegen.  Daher wird kein familiärer Abholdienst herbei telefoniert und nach kulinarischem Genuss um 17 Uhr noch die 16 Kilometer des Retourweges in Angriff genommen Wir werden mit einer wunderbaren Abendstimmung am Wasser belohnt, auch wenn der jüngere Teil unseres Teams über die Schinderei am ersten Tag etwas mault.

Starre Boote wollen hoch zu PKW transportiert werden. Aber ist erst ein sicherer Abstellplatz gefunden, kann man sich für ein paar Tage vom Autogebrauch psychologisch distanzieren.










Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen